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Die Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsgefangenen
 

Internationale Organisationen werfen den USA vor, in ihrem seit den Anschlägen vom 11.9.2001 geführten »Krieg gegen den Terrorismus« die Genfer Abkommen zum Schutz der Kriegsgefangenen wiederholt verletzt zu haben. Dabei geht es um den Status und die Haftbedingungen der Gefangenen in Guantánamo, um angebliche Menschenrechtsverletzungen in Afghanistan und um den Vorwurf der Folterung und sexuellen Demütigung von Häftlingen im Irak.

Die Genfer Abkommen
Um menschliches Leid in bewaffneten Konflikten zu lindern, wurden am 12. August 1949 vier Übereinkommen zur Humanisierung der Kriegsführung unterzeichnet: Das I. Genfer Abkommen »zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde«, das II. Genfer Abkommen »zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See«, das III. Genfer Abkommen »über die Behandlung der Kriegsgefangenen« und das IV. Genfer Abkommen »zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten«. Diese Abkommen traten am 21. Oktober 1950 in Kraft und binden heute 191 Staaten, d.h. praktisch die gesamte Staatengemeinschaft.

Die ersten drei Genfer Abkommen beruhen auf früheren Vereinbarungen, die aufgrund der Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg aktualisiert und verbessert wurden: Auf der vom Schweizer Friedensnobelpreisträger Henri Dunant (1828-1910) angeregten »Konvention zur Verbesserung des Loses der verwundeten Soldaten der Armeen im Felde« von 1864 (die auf der Haager Friedenskonferenz von 1899 auf die Opfer des Seekriegs ausgedehnt, 1907 abgeändert und fortan als X. Haager Konvention bezeichnet wurde) und auf dem »Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen« von 1929. Das IV. Genfer Abkommen kam neu hinzu und gewährt den Zivilpersonen einen Schutz, den bisher nur Verwundete und Kriegsgefangene hatten. So werden u.a. nichtmilitärische Krankenhäuser unter Schutz gestellt sowie Geiselnahme, Folterung und Körperstrafen verboten.

Die Grundrechte und Freiheiten des Menschen wurden bereits in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen (UN) von 1948 festgelegt. Ihr Artikel 5 lautet: »Niemand darf der Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden.« Ausdrücklich bestätigt wurde das Verbot der Folter durch den »Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte« von 1966. Auch die von der UN-Generalversammlung 1984 verabschiedete und seit 1987 geltende Antifolterkonvention (»Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe«) verpflichtet zum Schutz der körperlichen und seelischen Integrität. Der Europarat beschloss 1987 das »Europäische Übereinkommen zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Bestrafung«, das 1989 in Kraft trat.

Gemeinsame Grundsätze
In allen vier Genfer Abkommen findet sich an gleicher Stelle mit identischem Wortlaut der Satz: »Personen, die nicht unmittelbar an den Feindseligkeiten teilnehmen, einschließlich der Mitglieder der Streitkräfte, welche die Waffen gestreckt haben, und der Personen, die durch Krankheit, Verwundung, Gefangennahme oder irgendeine andere Ursache außer Kampf gesetzt sind, werden unter allen Umständen mit Menschlichkeit behandelt, ohne jede auf Rasse, Farbe, Religion oder Glauben, Geschlecht, Geburt oder Vermögen oder auf irgendeinem anderen ähnlichen Unterscheidungsmerkmal beruhende Benachteiligung.« Alle vier Genfer Abkommen verbieten Angriffe auf das Leben und die Person wie Tötung, Verstümmelung, Grausamkeit und Folterung, Geiselnahme, Beeinträchtigung der persönlichen Würde sowie Verurteilungen und Hinrichtungen ohne vorhergehendes Urteil eines ordentlich bestellten Gerichts in einem rechtsstaatlichen Verfahren. Gemäss Artikel 13 des III. Genfer Abkommens dürfen Kriegsgefangene weder durch »körperliche noch seelische Folterungen« zu Auskünften gezwungen werden. Nach Kriegsende sind die Gefangenen »ohne Verzug« freizulassen.

Zusatzprotokolle
Am 12. Dezember 1977 wurden in Bern zwei Zusatzprotokolle über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte einschließlich nationaler Befreiungskriege (Protokoll I) und den Schutz der Opfer innerstaatlicher bewaffneter Konflikte (Protokoll II) unterzeichnet. Sie sollen den Schutz der Zivilbevölkerung verstärken und die Mittel und Methoden der Kriegführung begrenzen. Verboten ist auch der Einsatz von Kampfmitteln, die der natürlichen Umwelt ausgedehnte, bleibende schwere Schäden zufügen.

Überwachung der Einhaltung der Genfer Abkommen
Die Überwachung der Einhaltung der Genfer Abkommen, die Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts, der Schutz und die Hilfe für Kriegsopfer in internationalen und innerstaatlichen Konflikten sowie das Eintreten für politische Häftlinge ist Aufgabe des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (-> IKRK). Gemäß dem III. Genfer Abkommen haben IKRK-Delegierte »jede Freiheit«, Kriegsgefangene zu besuchen und sie »ohne Zeugen« zu befragen. Dabei sollen sie überprüfen, ob die Gefangenen »jederzeit mit Menschlichkeit behandelt werden«. Die Häftlinge im US-Gefangenenlager von Guantánamo auf Kuba werden von IKRK-Delegierten seit Mitte Januar 2002 besucht, seit Frühjahr 2003 die im Irak Inhaftierten, darunter auch der an einem geheimgehaltenen Ort festgehaltene Ex-Diktator Saddam Hussein. Das IKRK, dessen wichtigste Handlungsmaxime Neutralität und stille Diplomatie sind, übermittelte ab Mai 2003 den Behörden der USA und Großbritanniens regelmäßig vertrauliche Berichte über festgestellte Verstöße gegen die Genfer Abkommen in den Gefangenenlagern. Erst nach dem Bekanntwerden der Folterfotos aus dem Gefängnis Abu Ghraib protestierte das IKRK auch öffentlich: »Das IKRK ist tief besorgt über jede Erniedrigung von Gefangenen«, hieß es in einer Erklärung. Bereits Mitte Januar 2004 hatte IKRK-Präsident Jakob Kellenberger bei Gesprächen mit Vertretern der US-Regierung in Washington außerdem gefordert, Informationen »über das Schicksal einer unbekannten Zahl von Menschen zu erhalten, die im so genannten Krieg gegen den Terror festgenommen wurden und an einem unbekannten Ort festgehalten werden«; bisher ohne Erfolg.

Phänomen des Terrorismus
Das humanitäre Völkerrecht ist durch die vier Genfer Abkommen von 1949 und die beiden Zusatzprotokolle von 1977 zwar umfassend kodifiziert; diese Konventionen enthalten jedoch keine Bestimmung, welche ausdrücklich dem Phänomen des Terrorismus gewidmet ist. Eine Arbeitsgruppe der UN-Generalversammlung arbeitet seit mehreren Jahren an einem Entwurf für ein umfassendes Übereinkommen zum Terrorismus, bisher ohne greifbares Ergebnis. Hauptgrund dafür ist die Schwierigkeit, sich auf eine genaue Definition des Begriffs »Terrorismus« zu verständigen.

Verstöße gegen die Genfer Abkommen
Internationale Organisationen haben wiederholt auf Menschenrechtsverletzungen durch die USA hingewiesen, die im Widerspruch v.a. zum III. Genfer Abkommen stünden. Anfangs ging es um den Status, die Haftbedingungen und die Behandlung der zeitweise über 700 Gefangenen aus mehr als 40 verschiedenen Staaten, die von den USA seit Anfang 2002 aus Afghanistan in das Lager »X-Ray« auf dem auf Kuba gelegenen US-Stützpunkt Guantánamo Bay gebracht wurden. Die US-Regierung behält sich vor, des internationalen Terrorismus beschuldigte Ausländer so lange festzuhalten, bis es keine weltweit operierenden terroristischen Organisationen mehr gibt. Internationale Organisationen und Vertreter verschiedener Staaten verlangen hingegen die vorbehaltslose Beachtung der Genfer Abkommen, die nach Kriegsende die Freilassung oder Anklage von Kriegsgefangenen vorschreiben.

Der Oberste Gerichtshof der USA billigte in einer am 28. Juni 2004 veröffentlichten Entscheidung den noch rund 600 Gefangenen auf Guantánamo das Recht zu, nach dem Habeas-Corpus-Grundsatz gegen ihre Inhaftierung vor US-Gerichten zu klagen, doch es ist nach wie vor ungeklärt, welche Rechte die Inhaftierten im einzelnen tatsächlich haben. Die US-Regierung hatte argumentiert, dass das Lager »X-Ray« auf dem auf Kuba gelegenen US-Stützpunkt Guantánamo Bay außerhalb des US-Territoriums liegt und die Gefangenen als Ausländer keinen Zugang zu US-Gerichten hätten. Als »ungesetzliche Kämpfer« hätten sie zudem keinen Anspruch auf Behandlung nach dem III. Genfer Abkommen von 1949. Diese Auslegung wiesen die Richter zurück: Die USA hätten volle Rechtshoheit über das Gebiet, und damit seien auch die US-amerikanischen Gerichte zuständig. Der Oberste Gerichtshof entschied aber auch, dass die US-Regierung das Recht habe, im Interesse der nationalen Sicherheit Personen zunächst ohne Anklage festzusetzen. Dazu habe US-Kongress den Präsidenten im Anti-Terror-Gesetz ermächtigt.

Seit Anfang März 2004 mehrten sich Meldungen über schwere Misshandlungen von Gefangenen durch die US-Streitkräfte auch in Afghanistan selbst. Einen entsprechenden Bericht der Menschenrechtsorganisationen Human Rights Watch (HRW) vom März 2004 wies ein Sprecher der US-Streitkräfte in Afghanistan zurück: Der Bericht beruhe auf einem mangelnden Verständnis der Situation vor Ort. Afghanistan sei ein Kriegsgebiet und die Armee folge den Gesetzen des Krieges: »Wir nutzen das Genfer Abkommen als Richtlinie und versuchen, es zu befolgen.« Bei der Anwendung von Gewalt gehe man vorsichtig vor.

Seit Ende April 2003 mehrten sich Berichte über die sadistische und demütigende Misshandlung von Gefangenen im Irak durch US-amerikanische und britische Soldaten - vor allem in dem nahe Bagdad gelegenen US-geleiteten Gefängnis Abu Ghraib, das unter dem gestürzten irakischen Präsidenten Saddam Hussein eine berüchtigte Folter- und Hinrichtungsstätte war. An die Öffentlichkeit gelangte Fotos von gefolterten und sexuell gedemütigten Häftlingen sorgten weltweit für Abscheu und Kritik. Entgegen erster Einschätzung der US-Regierung, dass es sich bei den Vorfällen um Taten einzelner Soldaten jenseits der Vorschriften handelt, die bestraft würden, werfen Menschenrechtsorganisationen (wie Amnesty International) Angehörigen der Truppen der »Koalition der Willigen« systematische Folterungen über Monate hinweg vor und fordern eine unabhängige Untersuchung. In einem vom amtierenden UN-Hochkommissar für Menschenrechte, Bertrand Ramcharan, am 4. Juni 2004 vorgelegten Bericht wird die Misshandlung irakischer Gefangener durch US-Soldaten als »Schandfleck auf den Bemühungen, dem Irak Frieden zu bringen« bezeichnet. Es wird beklagt, dass schätzungsweise einige Zehntausend Iraker »eingekerkert wurden, ohne dass die Gründe dafür, die Gefängnis-Orte, die Haftbedingungen und die Art der Behandlung bekannt wurden«.

Als Konsequenz aus dem Folterskandal im Gefängnis Abu Ghraib hat das US-Militär im Irak Mitte Mai 2004 die umstrittensten Verhörmethoden untersagt. Gefangene dürfen nicht mehr zwangsweise wach gehalten werden, Isolierhaft von mehr als 30 Tagen wird abgeschafft und Stresspositionen, in denen Gefangene lange in schmerzhafter Hockhaltung verharren mussten, werden verboten; Hunde dürfen nicht mehr zur Einschüchterung von Häftlingen eingesetzt werden. Das US-Verteidigungsministerium hat inzwischen auch eine Mitschuld an den Misshandlungen irakischer Gefangener im Militärgefängnis Abu Ghraib eingeräumt. »Es gibt eine institutionelle und persönliche Verantwortung der gesamten Befehlskette hinauf bis nach Washington«, sagte der frühere Verteidigungsminister James Schlesinger am 24. August 2004 bei der Präsentation eines Pentagon-Untersuchungsberichts.

Ahndung von Verbrechen
Für die Ahndung von Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen ist der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag zuständig, dessen Statut 2002 in Kraft getreten ist. Großbritannien ist wie der überwiegende Teil der Staatengemeinschaft dem Statut beigetreten. Die USA haben es zwar unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Begründung: US-Soldaten, die in vielen Regionen weltweit für Frieden kämpfen, dürften bei Verdacht auf Fehlverhalten niemals vor den Gerichtshof zitiert werden; zu groß sei die Gefahr willkürlicher Anfeindungen, politischen Missbrauchs, dem vorwiegend US-Soldaten zum Opfer fallen könnten.

Weiterführende Links:

Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK): www.icrc.org
Internationaler Strafgerichtshof (ICC): www.icc-cpi.int
Human Rights Watch (HRW): www.hrw.org
Amnesty International (ai): www.amnesty.de

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Internationales Komitee vom Roten Kreuz (IKRK)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Guantánamo Bay
Quelle

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Amnesty International (ai)

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

   
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