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Israel: Chronik

 
Interne Interessenkonflikte lassen die rechtskonservative Koalitionsregierung unter Ministerpräsident Benjamin Netanjahu im Dezember 1998 endgültig scheitern. Bei vorgezogenen Wahlen im Mai 1999 wird der Kandidat der sozialdemokratischen Arbeitspartei, Ehud Barak, zum neuen israelischen Ministerpräsidenten gewählt. Der Friedensprozeß zwischen Israel und den Palästinensern stagniert auch nach dem im Oktober 1998 unterzeichneten Interimsabkommen von Wye Plantation. Erst eine Anfang September 1999 im ägyptischen Scharm-el-Scheich getroffene Vereinbarung über die Umsetzung des Wye-Abkommens (»Wye 2«) kann den Weg zum Abschluß eines Endstatusvertrags im September 2000 ebnen.


Abkommen von Wye

Nach verstärkten diplomatischen Bemühungen der USA beginnen am 15.10. 1998 im US-Konferenzzentrum Wye Plantation bei Washington D.C. Verhandlungen zwischen Delegationen unter Führung Netanjahus und des Vorsitzenden der Palästinensischen Autonomiebehörde (PNA), Jassir Arafat, über ein weiteres Interimsabkommen. Im Mittelpunkt der Verhandlungen steht ein US-Vorschlag vom Januar 1998, demzufolge Israel weitere 13 % des Westjordanlands an die PNA übergeben soll; bislang waren von Israel 3 % völlig und 24 % teilweise freigegeben worden. Nach neuntägigen, kontrovers geführten Gesprächen, bei denen neben US-Präsident Bill Clinton ab dem 20.10. auch der jordanische König Hussein II. als Vermittler auftritt, wird am 23.10. im Weißen Haus in Washington D.C. ein Interimsabkommen »Land gegen Sicherheit« unterzeichnet, das die 19monatige Stagnation im Nahost-Friedensprozeß beenden sollte.

Bereits während der Verhandlungen hat sich Widerstand in beiden Lagern erhoben. Die islamistischen Gruppen Hamas und Dschihad wenden sich ebenso wie jüdische Siedlerorganisationen gegen Kompromisse. Der Handgranatenanschlag eines Hamas-Anhängers in Beerscheba, der 64 Verletzte forderte, führte am 20.10. zu einer vorübergehenden Unterbrechung der Gespräche. Nach der Unterzeichnung des Abkommens verschärft sich die Konfrontation: Am 28.10. werden ein jüdischer Wachmann und ein palästinensischer Bauer getötet, am 29.10. kommen bei einem mißglückten Anschlag auf einen israelischen Schulbus in Gaza der Attentäter und ein Soldat ums Leben. Hamas bekennt sich zu einem gescheiterten Anschlag am 6.11. auf einen Markt in Jerusalem, der die beiden Attentäter das Leben kostet und mehr als 20 Verletzte fordert.

Während die Palästinensische Autonomieregierung am 31.10. das Wye-Abkommen ratifiziert, sieht sich der israelische Ministerpräsident Netanjahu mit Widerstand in Regierung und Parlament konfrontiert. Erst am 11.11. billigt das israelische Kabinett mit acht gegen vier Stimmen bei fünf Enthaltungen den Vertrag, der am 17.11. mit 75 gegen 19 Stimmen bei neun Enthaltungen auch in der Knesset angenommen wird - abermals mit Gegenstimmen bzw. Stimmenthaltungen aus dem Regierungslager.


Umsetzung des Wye-Abkommens stagniert

Am 20.11. 1998 beginnt das israelische Militär im Gebiet um die Stadt Janin mit der Übergabe von Gebieten an die PNA: In dieser ersten Phase gehen 2 % Land in die Zone B, 7 % in die vollständige Kontrolle der PNA (Zone A) über. Zugleich wird eine Vereinbarung über die Eröffnung des Flughafens von Gaza unterzeichnet (die am 24.11. erfolgt). Ebenfalls am 20.11. werden 250 palästinensische Gefangene freigelassen. Weil in diesem ersten Kontingent nur etwa 100 politische Gefangene sind, treten rund 2500 (von 3500) palästinensische Insassen israelischer Gefängnisse in einen Hungerstreik; Solidaritätskundgebungen in Jerusalem und Städten im Westjordanland führen zu anhaltenden Auseinandersetzungen mit dem israelischen Militär. Die israelische Regierung nimmt am 2.12. die Unruhen zum Anlaß, die zweite Phase des Truppenrückzug auszusetzen, und beharrt auf dieser Haltung auch, nachdem am 10.12. der Palästinensische Zentralrat (PCC), Führungsgremium der PLO, mit einer Mehrheit von 81 Stimmen der insgesamt 124 Mitglieder und am 14.12. der 730 Mitglieder umfassende Palästinensische Nationalrat (PNC) die Streichung von Passagen aus der PLO-Charta, die zur Zerstörung Israels aufriefen oder die Existenz des jüdischen Staats negierten, bestätigt haben.

Ein Gipfeltreffen von US-Präsident Clinton mit Arafat und Netanjahu anläßlich seiner dreitägigen Nahostreise am 15.12. in Erez bleibt ohne konkretes Ergebnis. Am 20.12. 1998 beschließt das israelische Kabinett einstimmig (bei einer Stimmenthaltung) die Aussetzung der Umsetzung des Wye-Abkommens.

Der neue israelische Ministerpräsident Barak sagt bei einem Treffen mit Arafat am 11. 7. 1999 in Erez ausdrücklich die Umsetzung des von seinem Amtsvorgänger Netanjahu unterzeichneten Wye-Abkommens zu. Nach wochenlangen Verhandlungen wird am 4.9. 1999 in Scharm-el-Scheich (Ägypten) eine Vereinbarung über die Umsetzung des Wye-Abkommens von Barak und Arafat im Beisein des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak, des jordanischen Königs Abdullah II. und der US-Außenministerin Madeleine Albright unterzeichnet. Die Vereinbarung (»Wye 2«) wird am 5.9. von der israelischen Regierung mit zwei Gegenstimmen, von der Knesset am 8.9. mit großer Mehrheit gebilligt und kann nach Zustimmung durch die palästinensischen Behörden am 10.9. 1999 in Kraft treten. Nach der bis Januar 2000 vorgesehenen vollständigen Verwirklichung von »Wye 2« werden die Palästinenser rund 40 % des Westjordanlands ganz oder teilweise kontrollieren (Zonen A und B); es soll dann auch eine territoriale Geschlossenheit zwischen Nablus und Janin im Norden erreicht sein.


Koalitionskrise, Auflösung der Knesset

Die Konflikte um das Zustandekommen und die Umsetzung des Wye-Abkommens schwächen die Stellung von Ministerpräsident Netanjahu; ein Ausgleich zwischen den nationalistischen und nationalreligiösen Kräften und den Vertretern pragmatischer Positionen im Likud scheint kaum noch möglich. Daß Infrastrukturminister Ariel Scharon am 9.10. 1998 - kurz vor Beginn der Verhandlungen in Wye Plantation - das seit dem Rücktritt von David Levy im Januar 1998 von Netanjahu verwaltete Außenressort übernehmen konnte, gilt als Zugeständnis an die Siedlerorganisationen, die im Kabinett durch die Nationalreligiöse Partei (NRP) vertreten sind. Netanjahus Versuch, Levy, den Vorsitzenden der Gescher-Partei, als Infrastrukturminister wieder in die Regierung einzubinden, scheitert Anfang Dezember. Am 16.12. erklärt der parteilose Finanzminister Yakov Neeman, ein langjähriger Vertrauter Netanjahus, seinen Rücktritt. Er begründet dies mit der desintegrierenden Politik des Ministerpräsidenten. Nachdem die Regierung am 20.12. einstimmig (eine Enthaltung) die Aussetzung des Wye-Abkommens beschließt, lehnt die Knesset am 21.12. die Nahostpolitik der Regierung ab; 56 Abgeordnete entziehen dem Ministerpräsidenten das Vertrauen, 48 stimmen für dessen Politik. Nach einer dramatischen Debatte, in deren Verlauf Netanjahu erfolglos versucht, die Arbeitspartei zu einer »Koalition der nationalen Einheit« zu bewegen, wird ein von der Arbeitspartei eingebrachter Gesetzentwurf über vorzeitige Neuwahlen mit 81 Stimmen (darunter auch des Likud) bei 30 Gegenstimmen und vier Enthaltungen in erster Lesung gebilligt. Regulär wären Neuwahlen erst im November 2000 fällig gewesen. Als Termin für die Neuwahlen bestimmt die Knesset den 17.5. 1999.


Politische Neuorientierungen im Wahlkampf

Die Vorwahlkampfsituation führt zu einer weiteren Schwächung der Regierungskoalition und zu politischen Neuorientierungen, vor allem im Likud-Lager. Nach heftigen Auseinandersetzungen entläßt Ministerpräsident Netanjahu am 23.1. 1999 Verteidigungsminister Yitzhak Mordechai; dessen Ressort übernimmt Mosche Arens, der diesen Posten bereits zweimal innehatte und als Hardliner im Friedensprozeß gilt. Mordechai verläßt den Likud, um sich als Kandidat der am 8.2. gegründeten Zentrumspartei bei den Wahlen um die Ministerpräsidentschaft zu bewerben. Dieser Partei gehören auch der am 24.12. 1998 aus dem Militärdienst ausgetretene frühere Generalstabschef Amnon Lipkin-Schahak (der Anfang Januar 1999 als erster seine Kandidatur für das Amt des Ministerpräsidenten erklärt) und der ehemalige Finanzminister Dan Meridor an. Auch Netanjahus früherer Bürochef Avigdor Lieberman verläßt Anfang Januar 1999 den Likud-Block, um die neue rechte Partei Israel Beitenu (Unser Haus Israel) zu gründen, die ihre Wähler unter den russischen Immigranten sucht. Benjamin Begin, Sohn des früheren Ministerpräsidenten, ebenfalls aus dem Likud ausgetreten, ruft zunächst die 1998 im Likud aufgegangene rechte Herut-Partei wieder ins Leben, die sich am 14.3. 1999 mit weiteren rechten Gruppierungen zur Nationalen Union zusammenschließt. Programm der neuen Partei mit dem Spitzenkandidaten Begin ist die radikale Ablehnung der Abkommen mit den Palästinensern. Ende März 1999 verläßt auch der frühere Ministerpräsident Yitzhak Schamir den Likud, um sich ebenfalls dieser Partei anzuschließen. Nachdem sein wichtigster Gegner im Likud, der Jerusalemer Bürgermeister Ehud Olmert, auf eine Kandidatur verzichtet, wird Netanjahu am 25.1. 1999 mit deutlicher Mehrheit zum Parteivorsitzenden gewählt. Innerhalb der Arbeitspartei ist die Position von Oppositionsführer Ehud Barak kaum umstritten; er wird am 15.2. zum Spitzenkandidaten für die Ministerpräsidentenwahlen bestimmt. Barak schließt in der Folge ein Wahlbündnis (»Ein Israel«) mit Levys Gescher-Partei und mit der Meimad-Bewegung.


Ultraorthodoxe gegen säkulare Justiz

Anfang Februar 1999 verschärft sich eine seit langem schwelende Auseinandersetzung zwischen den Organisationen der Ultraorthodoxen und der israelischen Justiz. Anlaß sind jüngste Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs. Am 9.12. 1998 hatten die Richter die Knesset angewiesen, durch ein Gesetz binnen eines Jahres die Befreiung der Talmudstudenten (etwa 3000 pro Jahrgang) vom dreijährigen Wehrdienst aufzuheben. Noch schwerer wiegt eine Entscheidung der Richter, in die Religionsräte - regionalen und städtischen Institutionen, die vor allem in Fragen des Personenstands (u.a. Konversion zum Judentum, Eheschließungen und Beerdigungen) zuständig sind - müßten Vertreter des konservativen Rabbinats und des Reformjudentums (damit auch Frauen) aufgenommen werden. Das orthodoxe Rabbinat verwaltet diesen Bereich seit der Staatsgründung nach seiner Auslegung des religiösen Sittengesetzes (Halacha); da Israel keine Verfassung besitzt, sind diese Fragen nicht formell geregelt. Am 26.1. 1999 setzen die religiösen Parteien (mit der Drohung, den Haushalt nicht zu verabschieden) in der Knesset ein Gesetz durch, das den orthodoxen Rabbinern weiterhin die alleinige Autorität in den Religionsräten sichert. Zu einer Großkundgebung gegen die säkulare Justiz versammeln die Ultraorthodoxen am 14.2. rund 250000 Anhänger in Jerusalem.


Parlaments- und Ministerpräsidentenwahlen

Die 4,3 Mio. Stimmberechtigten können nach dem 1992 geänderten Wahlrecht mit je einer Stimme für eine der 33 zu den Wahlen zugelassenen Parteien und für einen Kandidaten für die Ministerpräsidentschaft votieren. Nach einem Richtungswahlkampf, in dem der Grundsatzstreit um die Abkommen mit den Palästinensern und das Werben um ethnische Gruppen eine stärkere Rolle spielen als politische Sachfragen, treten zuletzt nur Barak und Netanjahu als Bewerber um das höchste Regierungsamt gegeneinander an. Wenige Tage vor dem Wahltermin traten Mordechai und der Kandidat der arabischen Nationalen Demokratischen Allianz (Balad), Asmi Bischara, zugunsten Baraks zurück, Benjamin Begin verzichtete am 16.5. 1999 zugunsten Netanjahus. Die Abstimmung am 17.5. ergibt ein klares Votum für Barak: er wird mit 56 % der abgegebenen Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. Auf Netanjahu entfallen 43,9 %. Weniger deutlich sind die Ergebnisse der Parlamentswahlen: Die beiden großen Parteien müssen Verluste hinnehmen: stärkste Fraktion in der 15. Knesset ist Ein Israel (Arbeitspartei und Bündnispartner) mit 26 Sitzen (-8), auf den Likud entfallen 19 Mandate (-13). Dagegen hat die ultraorthodoxe Schas, mit 17 Sitzen weiterhin drittstärkste Fraktion, sieben Mandate hinzugewinnen können. Zum erstenmal in der Geschichte Israels ist eine arabische Frau, Hussnyia Jabara (Meretz) in der Knesset vertreten.

Am Tag nach der Wahl tritt Netanjahu vom Vorsitz des Likud zurück, Ende Mai legt er auch sein Abgeordnetenmandat nieder.


Neue Regierung Barak

Der neue Ministerpräsident, ein hochdekorierter Ex-Generalstabschef, der seine politische Karriere erst Mitte der 90er Jahre begann und zum rechten Flügel der Arbeitspartei gerechnet wird, bemüht sich in langwierigen Verhandlungen um eine breite Basis für die Regierungsbildung. Als sich der am 17.3. 1999 nach fünfjährigem Prozeß wegen Bestechlichkeit und Amtsmißbrauch für schuldig befundene, am 15.4. deswegen zu vier Jahren Haft ohne Bewährung verurteilte Schas-Führer Ari Derie aus allen politischen Funktionen zurückzieht, gibt die linke Meretz-Partei ihren Widerstand gegen die Einbindung der Ultraorthodoxen auf. Am 5.7. kann das neue Kabinett vereidigt werden. Levy (Gescher, mit der Arbeitspartei im Bündnis Ein Israel zusammengeschlossen) kehrt ins Außenamt zurück, Innenminister wird Natan Scharansky (Israel b\'Alija), das Verteidigungsressort übernimmt Barak selbst. Barak kann sich in der Knesset auf eine Mehrheit von mindestens 73 (nach dem Austritt der Vereinten Tora-Partei Anfang September 1999 aus Protest gegen »Wye 2« nur noch 68) der 120 Mandate stützen. Am 1.8. stimmt die Knesset einer Gesetzesänderung zur Erweiterung des Kabinetts auf 24 Minister zu.


Fortgang der Siedlungstätigkeit

Obwohl es zu großen Auseinandersetzungen um einzelne Bauprojekte wie Har Homa nicht mehr kommt, geht die Siedlungstätigkeit in den besetzten Gebieten trotz internationaler Kritik weiter. Am 17.9. 1998 billigt das israelische Kabinett die Vergrößerung der jüdischen Siedlung Yitzhar bei Nablus um 600 Wohnungen.

Nach dem Wye-Abkommen setzen die Siedlerorganisationen, gedeckt durch Teile der Regierung, verstärkt auf illegale Landnahmen. Am 15.11. ruft Außenminister Ariel Scharon bei einem Zusammentreffen mit Siedlerorganisationen dazu auf, durch eine Welle von Landbesetzungen »Fakten am Boden« zu schaffen.

Am 27.5. 1999 beschließt die scheidende Regierung die Annexion eines Gebietsstreifens von 10 km² im Westjordanland, der Jerusalem mit Maale Adumim, der größten jüdischen Siedlung (25000 Einwohner), verbindet.

In der dreijährigen Regierungszeit Netanjahus stieg die Zahl der jüdischen Siedler im Westjordanland von 150000 auf 180000; Ostjerusalem weist inzwischen 200000 jüdische Bewohner auf.


Südlibanonkonflikt

Obwohl die israelische Regierung bereits im März 1998 erklärt hatte, die Armee aus der Sicherheitszone im Südlibanon abziehen zu wollen, gehen die Auseinandersetzungen weiter. Seit Anfang 1998 wurden 22 israelische Soldaten in der Sicherheitszone bei Anschlägen der Hisbollah-Milizen getötet; auch bei den mit Israel verbündeten christlichen Milizen der Südlibanesischen Armee (SLA) gab es Opfer. Israel führt am 22.12. 1998 »Vergeltungsschläge« gegen Hisbollah-Stellungen im Libanon durch, die wiederum Raketenbeschuß auf Ziele in Nordisrael nach sich ziehen. Nachdem am 28.2. 1999 vier Israeli, unter ihnen ein Brigadegeneral, einem Sprengstoffanschlag zum Opfer gefallen sind, führt Israel eine umfangreiche Militäroperation in der Bekaa-Ebene durch. Anfang Juni scheint der Teilabzug der SLA-Milizen aus der Region um die südlibanesische Stadt Dschassin eine Entspannung anzukündigen, die auch als Signal einer neuen Politik gegenüber Syrien nach dem Machtwechsel in Israel gedeutet wird. Im Wahlkampf hatte auch Ministerpräsident Netanjahu die Rückzugspläne bekräftigt. Die noch amtierende Regierung Netanjahu nimmt jedoch im Juni weitere Raketenangriffe auf Nordisrael zum Anlaß, die heftigsten Militärschläge gegen den Libanon seit der Offensive »Früchte des Zorns« von 1996 zu führen. Am 25. und 26.6. fliegt die israelische Luftwaffe Angriffe nicht nur gegen mutmaßliche Hisbollah-Stellungen sondern gegen infrastrukturelle Einrichtungen nahe Beirut. Brücken, Straßen und Kraftwerke werden zerstört, nach libanesischen Angaben kommen dabei zehn Menschen ums Leben, über 60 werden verletzt.


Beziehungen zu Syrien

Am 26.1. 1999 nimmt die Knesset mit 53 gegen 30 Stimmen ein Gesetz an, das die Rückgabe der von Israel seit dem arabisch-israelischen Krieg vom Juni 1967 besetzten Golanhöhen (und des arabischen Ostteils von Jerusalem) wesentlich erschwert: Eine eventuelle Rückgabe der Gebiete muß von der absoluten Mehrheit der Knesset-Abgeordneten gebilligt und durch ein Referendum bestätigt werden.

Der neue israelische Ministerpräsident Barak erklärt nach seiner Wahl seine Bereitschaft, die im Februar 1996 von israelischer Seite in Washington D.C. abgebrochenen Friedensgespräche mit Syrien wieder aufzunehmen.

In einem am 1.8. 1999 veröffentlichten Tagesbefehl an die syrischen Streitkräfte wiederholt der syrische Präsident Hafez al-Assad die syrische Forderung nach Rückgabe aller israelisch besetzten Gebiete, darunter die Golan-Höhen. Assad versichert außerdem, daß Syrien keinen Friedensvertrag mit Israel unterzeichnen werde, solange nicht auch der Libanon, von dessen Territorium Israel ebenfalls einen Teil besetzt hält, seinerseits zu einem solchen Schritt bereit sei.


Weitere außenpolitische Ereignisse

Der Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Mesut Yilmaz im September 1998 und die seit dem ersten Abkommen über militärische Zusammenarbeit vom März 1996 intensivierten Militärkontakte deuten auf ein neues Bündnis in der Region hin.

US-Präsident Clinton besucht vom 13.-15.12. 1998 Jerusalem, Gaza und Bethlehem. In einer Unterredung mit Netanjahu sagt Clinton Israel eine Sonderhilfe in Höhe von 1,2 Mrd. US- $ für den Truppenrückzug aus den besetzten Gebieten zu, zusätzlich zu 2,9 Mrd. US- $ , die in Wye Plantation vereinbart wurden.

Der Regierungswechsel in Israel weckt in den USA und bei den arabischen Nachbarn neue Hoffnungen auf eine Wiederbelebung des Friedensprozesses, zumal Barak im Juli 1999 bei Antrittsbesuchen in Ägypten, Jordanien und den USA und einer ersten Zusammenkunft mit Arafat erklärt, das Wye-Abkommen kurzfristig umsetzen zu wollen, und eine umfassende Friedensregelung binnen 15 Monaten in Aussicht stellt.


Palästinensische Autonomiegebiete

Angesichts des stockenden Friedensprozesses kündigt der PNA-Vorsitzende Arafat seit September 1998 wiederholt die einseitige Ausrufung eines palästinensischen Staats am 4.5. 1999 an - dem im Gaza-Jericho-Abkommen von 1994 vorgesehenen Stichdatum für die Beendigung der fünfjährigen Interimsphase für die Umsetzung der Vereinbarungen in endgültige Friedensregelungen. Israel droht für diesen Fall mit Gebietsannexionen und Boykottmaßnahmen. Nach diplomatischen Interventionen der USA und der Europäischen Union (EU) beschließt der Zentralrat der PLO (PCC) am 28.4. 1999 nach dreitägiger Debatte in Gaza die Verschiebung der Staatsproklamation auf die Zeit nach den Wahlen in Israel am 17.5.; in einem Communiqué bekräftigt er das »grundlegende Recht« auf einen »Staat Palästina mit Jerusalem als Hauptstadt«. Nach weiteren aufschiebenden Voten beschließt der PLO-Zentralrat am 21.6. 1999 endgültig die Vertagung der Entscheidung auf unbestimmte Zeit.

Ende Oktober 1998, unmittelbar nach der Unterzeichnung des Wye-Abkommens, verhaftet die palästinensische Polizei über 100 Hamas-Aktivisten. In Ramallah kommt es Ende Oktober nach der Durchsuchung des lokalen Büros der Fatah, in deren Verlauf ein Jugendlicher erschossen wird, zu mehrtägigen Unruhen. Der Gründer und religiöse Führer der Hamas, Scheich Ahmed Yassin, der gegen das Abkommen Stellung bezogen hat, wird vorübergehend unter Hausarrest gestellt.

Der Lohn für die eindeutige Bindung der PNA an die westlichen Konzeptionen einer Nahost-Friedensregelung besteht in einer Reihe von symbolischen Bekräftigungen des palästinensischen Anspruchs auf Staatlichkeit und weiteren Vereinbarungen über wirtschaftliche Unterstützung. Wichtigstes Datum ist der »Staatsbesuch« von US-Präsident Clinton. Dieser landet am 14.12. 1998 auf dem (unter israelischer Sicherheitskontrolle stehenden) Gaza International Airport, dessen Öffnung am 24.11., fast zwei Jahre nach seiner Fertigstellung (ebenso wie die gleichzeitige Eröffnung des »Gaza Industrieparks«, u.a. von der Weltbank mit 15 Mio. US- $ gefördert), Teil der Vereinbarungen im Wye-Abkommen ist. Am selben Tag nimmt der US-Präsident an einer Sitzung des Palästinensischen Nationalrats (PNC) teil, in der die Parlamentarier eine bereits 1996 getroffene Entscheidung über die Revision der PLO-Charta bekräftigen, bei der israelfeindlichen Passagen außer Kraft gesetzt wurden.

Am 1.12. 1998 sagt eine Nahost-Geberkonferenz von rund 50 Staaten und Organisationen in Washington D.C. insgesamt 3 Mrd. US- $ für den Aufbau der palästinensischen Wirtschaft und zur Stärkung des Nahost-Friedensprozesses innerhalb der nächsten fünf Jahre zu. Das Gesamtbudget der Fördermittel für den von den Palästinensern neu vorgestellten »Entwicklungsplan 1999 bis 2003« beträgt insgesamt 4,5 Mrd. US- $.

Die oppositionellen Kräfte sehen ihre Einschätzung bestätigt, daß Arafat und seine Fatah-Fraktion das Schicksal der Palästinenser in die Hand Israels und des Westens gelegt haben. Am 1.11. 1998 erklärt der militärische Flügel der Hamas (Qassem-Brigaden), daß künftig auch die Institutionen der PNA Ziel von Anschlägen sein werden. Bei einer Kundgebung in Beirut am selben Tag ruft Scheich Hassan Nasrallah, Führer des libanesischen Zweigs der Hisbollah, zur Ermordung Arafats auf. In Damaskus kommen am 13.12. 1998 Repräsentanten radikaler Palästinenserorganisationen (mit etwa 100 der 730 Sitze im Palästinensischen Nationalrat vertreten) zusammen, um gegen die Änderung der PLO-Charta zu protestieren, darunter der Führer der militant-fundamentalistischen Palästinenserorganisation Dschihad Islami (Islamischer Heiliger Krieg), Ramadan Abdallah Schallah, der Vorsitzende der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), Nadschif Hawatmeh, das Hamas-Politbüromitglied Muhammad Nazal sowie Ahmed Dschibril, Führer der Volksfront zur Befreiung Palästinas - Generalkommando (PFLP- GC), einer paramilitärischen Abspaltung von der PFLP. Das Treffen, in dessen Verlauf die Spannungen innerhalb der Opposition erneut deutlich werden, ist die erste gemeinsame Veranstaltung dieser Gruppen seit Jahren. Der PNA-Vorsitzende Arafat versucht Anfang August 1999, vor der nächsten Runde von Verhandlungen mit der neuen israelischen Regierung durch eine Reihe von Gesprächen eine Allianz seiner Gegner zu verhindern. Am 1.8. 1999 trifft er in Kairo erstmals seit 1993 (Unterzeichnung des Oslo-Abkommens) wieder mit Vertretern der DFLP zusammen, am selben Tag auch mit einer Delegation der in Damaskus (Syrien) ansässigen radikalen Volksfront zur Befreiung Palästinas (PFLP) von George Habasch (der zu dem Treffen allerdings einen Vertreter entsendet). Zugleich findet erstmals seit fünf Jahren in Kairo eine Sitzung des Zentralkomitees der al-Fatah, einer Gruppierung innerhalb der PLO, unter dem Vorsitz von Arafat statt. Politische Beobachter messen dieser »Offensive zur nationalen Versöhnung« entscheidende Bedeutung für den Verlauf der Verhandlungen mit der neuen israelischen Regierung bei.

Am 26.8. 1999 geben die palästinensischen Behörden die Festnahme von 90 Hamas-Mitgliedern in Gaza und Westjordanland durch die palästinensische Polizei »aus Sicherheitsgründen« bekannt; seit dem Regierungswechsel in Israel Anfang Juli habe Hamas Anschläge gegen Israelis geplant.
 
 
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