Die innenpolitische Lage ist weiterhin geprägt durch die Kampagne der Militärs gegen den politischen Islam, die am 18.6. 1997 zum Rücktritt von Ministerpräsident Necmettin Erbakan geführt hatte. In dem seit Mai 1997 anhängigen Verfahren (wegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen) gegen die Wohlfahrtspartei (Refah Partisi) ergeht am 16.1. 1998 das Urteil des Verfassungsgerichts: Die Refah wird verboten, das Parteivermögen eingezogen, Parteivorsitzender Erbakan und fünf weitere Führungsmitglieder dürfen sich fünf Jahre lang nicht politisch betätigen. Gegen Erbakan, der das Urteil als »Justizmord« bezeichnet, muß sich ab 29.6. wegen »Beleidigung des Verfassungsgerichts« vor Gericht verantworten. Bereits im Dezember 1997 haben Refah-Anhänger die Tugendpartei (Fazilet Partisi) gegründet, zum Vorsitzenden wird zunächst Ismail Alptekin, ein enger Vertrauter Erbakans, bestimmt. Nach einem Richtungsstreit zwischen Traditionalisten und Reformisten übernimmt Recai Kutan am 14.5. 1998 den Parteivorsitz. Ende Februar 1998, nach Inkrafttreten des Verbots der Wohlfahrtspartei, ist die Mehrheit der islamistischen Abgeordneten in die Tugendpartei eingetreten, die damit zur zweitstärksten Parlamentsfraktion wird. Ende August 1998 wird ein Verfahren gegen Kutan und elf weitere hohe Funktionäre der FP wegen des Verdachts, umgerechnet 6,5 Mio. DM aus dem Parteivermögen der Refah der Beschlagnahme entzogen zu haben, eröffnet.
Die Minderheitsregierung unter Ministerpräsident Mesut Yilmaz (die im Parlament auf die Unterstützung der Republikanischen Volkspartei / CHP angewiesen ist) gerät wiederholt in Konflikt mit der Militärführung, die auf schärfere Maßnahmen gegen die Islamisten drängt. Proteste gibt es gegen das vom Militär geforderte Gesetz, die das Tragen religiöser Kopfbedeckungen unter Strafe stellt. Am 5.6. wird die Gesetzesvorlage vom Rechtsausschuß des Parlaments gebilligt, muß vor Inkrafttreten aber noch vom Parlament angenommen und vom Präsidenten unterzeichnet werden.
Am 3.6. 1998 erklärt sich Yilmaz, unter dem Druck der CHP bereit, zum Jahresende zurückzutreten und ein nicht parteigebundenes Übergangskabinett einzusetzen, um den Weg für vorgezogene Neuwahlen am 25.4. 1999 freizumachen.
Der Ende Januar 1998 in Teilen veröffentlichte Abschlußbericht einer von der Regierung Yilmaz in Auftrag gegebenen Untersuchung des sog. Susurluk-Skandals von Ende 1996 erhärtet die Vorwürfe, daß Politiker, staatliche Stellen und führende Mitglieder der Sicherheitskräfte Verbindungen zum organisierten Verbrechen unterhalten haben.
Das Oberste Revisionsgericht lehnt am 17.3. den Berufungsantrag der Staatsanwaltschaft ab, das Verfahren gegen die ehemalige Ministerpräsidentin Tansu Çiller wegen Mißbrauchs von Geldern aus einem Geheimfonds wieder aufzunehmen.
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