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Deutschland: Analyse der Wahl zum 14. Deutschen Bundestag vom 27.9. 1998

 
Die Wahl zum 14. Deutschen Bundestag war dominiert vom Wunsch nach personeller wie politischer Veränderung. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik wurde eine amtierende Regierung abgewählt. Meinungsforschungsinstitute hatten bereits vor der Wahl einen deutlichen Sympathievorsprung für den Herausforderer Gerhard Schröder festgestellt; das Ergebnis habe gezeigt, daß die Wähler nach 16 Jahren Kanzlerschaft Helmut Kohls »kanzlermüde« gewesen seien. Der Wunsch nach einem Wechsel an der Spitze sei aber auch der Wunsch nach einem politischen Richtungswechsel gewesen. Einerseits traue man der SPD mehr als jeder anderen Partei die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu, des wichtigsten politischen Problems in Deutschland. Andererseits habe der als wirtschaftsfreundlich und sozial engagiert geltende Kanzlerkandidat am ehesten die Gewähr für eine »Veränderung ohne Risiko« geboten. Schließlich habe auch verändertes Wählerverhalten den Wechsel ermöglicht: der seit längerem zu beobachtende Trend nachlassender Bindung an eine Partei erhöhe das Potential der Wechselwähler, die ihre Wahlentscheidung stärker an Personen und aktuellen Einflüssen als an politischen Grundüberzeugungen ausrichten. Mit seiner Profilierung als »Kandidat der Mitte« habe Schröder es einem großen Teil der bürgerlichen Wechselwähler erleichtert, sich dieses Mal für die SPD und gegen eine fünfte Amtszeit Helmut Kohls zu entscheiden. Das eindeutige Wählervotum für eine rot-grüne Koalition, die gegen alle Prognosen über eine deutliche Mehrheit von 21 Sitzen verfügt, bedeutet das Ende von 16 Jahren bürgerlich-liberaler Regierung in Deutschland.

Eindeutiger Sieger der Wahl war die SPD, die mit 40,9 % der Stimmen (einem Zugewinn von 4,5 % gegenüber 1994) zum zweiten Mal - nach 1972 mit Willy Brandt - wieder stärkste Partei im Bundestag wurde. Die Partei konnte sich bundesweit in ihren klassischen Wählerschaften, den (organisierten) Arbeitern und einem Teil der Angestellten, behaupten und gleichzeitig einen großen Teil des Wechselwählerpotentials für sich gewinnen. Allein aus dem Lager der früheren Unionswähler erhielt sie dabei etwa 1,4 Mio. Stimmen. Auffällig sind die überdurchschnittlichen Gewinne in den Altersgruppen der über 45jährigen. Hier konnte die SPD vor allem bei den über 60jährigen Frauen, die als treueste Anhängerinnen der CDU / CSU galten, starke Zuwächse erreichen.

Die CDU / CSU erzielte mit 35,2 % der Stimmen und einem Verlust von 6,2 % (etwa 1,8 Mio. Stimmen) gegenüber 1994 ihr schlechtestes Ergebnis seit 1953. Sie verlor flächendeckend, besonders aber in den neuen Bundesländern. Ihre größten Verluste verzeichnete sie gerade in ihren Hochburgen, den ländlichen Gemeinden. Überdurchschnittliche Verluste hatte sie bei ihren traditionellen Wählern. Nur 35 % der 45- bis 59jährigen wählten 1998 die Union, ein Minus von 9 % gegenüber der Wahl 1994. In der Gruppe der über 60jährigen stimmten 43 % für die Union, 6 % weniger als 1994.

Die Grünen zogen bei leichten Einbußen (-0,7 %) mit 6,7 % wieder als drittstärkste Kraft in den Bundestag ein. Sie konnten ihre überdurchschnittlich junge und großstädtische Wählerschaft erfolgreich mobilisieren, kamen in den neuen Bundesländern aber nur auf 5 % der Stimmen.

Die FDP verlor ebenfalls leicht (-0,6 %) und erhielt 6,2 % aller abgegeben Stimmen. Vor allem die FDP profitierte nach Erkenntnissen der Wahlforscher erneut vom »Stimmensplitting«. Stärker noch als die Grünen wurde die FDP vor allem im Westen gewählt. In den neuen Ländern (inkl. Berlin) erreichte sie nur 3,6 %, in den alten Bundesländern hingegen 7 % der Stimmen.

Die PDS konnte im dritten Anlauf erstmals die 5-Prozent-Hürde überspringen und ihre Position in den neuen Bundesländern weiter ausbauen. Dort erhielt sie 19,5 % der Stimmen, während sie im Westen nur gut ein Prozent erreichte. Die engere Bindung der Wähler in den neuen Bundesländern an die PDS, die als Gegengewicht zu den beiden großen Parteien SPD und CDU / CSU gesehen wird, drückte sich auch darin aus, daß ihre Anhänger in weit geringerem Maße als die Wähler von FDP und Grünen »Stimmensplitting« betrieben.

Die rechtsextremen Parteien haben - anders als u.a. bei der vorausgegangenen Landtagswahl in Sachsen-Anhalt - bei dieser Bundestagswahl keine Rolle gespielt. Keine Partei konnte auch nur annähernd an die 5-Prozent-Marke herankommen.

Auffällig am Ergebnis der Wahl war nach Ansicht der Wahlforscher »die Stärke und Einheitlichkeit der Wählerbewegung«. Der klare Wechsel von der CDU / CSU zur SPD habe alle anderen Trends überlagert. Nirgendwo sei gegen den Trend votiert worden. Die CDU / CSU habe flächendeckend deutlich verloren. In 14 der 16 Bundesländer, darunter in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz erstmals seit 1949, setzte sich die SPD als stärkste politische Kraft durch. Lediglich in Bayern, wo die CSU erstmals bei einer Bundestagswahl unter die 50-Prozent-Marke rutschte, und Sachsen, wo die CDU 15,3 % verlor, konnte die Union ihre Position als stärkste Partei behaupten. Mit dem starken, bundesweit einheitlichen Trend ist auch zu erklären, daß die SPD der CDU / CSU 109 Wahlkreise abnehmen und 212 der 328 Direktmandate für sich gewinnen konnte. In sechs Bundesländern erhielt sie alle Direktmandate. Nach Erststimmen erreichte die SPD in 79 Wahlkreisen mehr als 50 % der Stimmen; der CDU gelang dies nur noch in sechs Wahlkreisen.
 
 
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