Im Vorfeld der Olympischen Spiele 2008 zogen internationale Menschenrechtsorganisationen eine negative Bilanz zur Entwicklung der Menschenrechtslage. Bei der Vergabe der Spiele 2001 an China hatte sich die Regierung zu substanziellen Fortschritten verpflichtet. In einem am 1.4.2008 vorgestellten Bericht zu China verwies Amnesty International (ai) auf verstärkte Repressionen vor allem gegen Menschenrechtsaktivisten, die sich bemühten, im Umfeld der Olympischen Spiele Öffentlichkeit für ihre Anliegen herzustellen. Insbesondere in Beijing, dem Austragungsort der Spiele, habe die Polizei mit einer umfangreichen »Säuberungskampagne« begonnen, um Protesten während der Spiele vorzubeugen: unliebsame und »illegaler Aktivitäten« verdächtige Personen können in Auffanglagern oder sogenannten Arbeitsumerziehungslagern ohne Prozess bis zu zwei bzw. vier Jahren oder in psychiatrischen Anstalten festgehalten werden. Trotz der vorzeitigen Freilassung einiger prominenter Journalisten, die aus politischen Gründen verurteilt wurden, habe die Presse- und Internetzensur zugenommen. Internationales Aufsehen erregte der Fall des 34-jährigen Bürgerrechtlers Hu Jia, der nach monatelangem Hausarrest im Dezember 2007 verhaftet und am 3.4.2008 von einem Gericht in Beijing wegen »Aufrufs zur Untergrabung der Staatsgewalt« zu dreieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Dem Menschenrechts- und Umweltaktivisten waren kritische Artikel und Interviewäußerungen in ausländischen Medien zur Last gelegt worden; u.a. hatte er der politischen Führung vorgeworfen, die Olympischen Spiele zur Legitimation ihrer Herrschaft zu missbrauchen, und die internationale Öffentlichkeit aufgefordert, in der Kritik von Menschenrechtsverletzungen hart zu bleiben. Anfang Januar 2008 protestierte eine Gruppe von 57 chinesischen Intellektuellen, unter ihnen der Vorsitzende des chinesischen PEN-Clubs, Liu Xiaobo, in einem offenen Brief an die Regierung gegen die Verhaftung Hus und forderte seine Freilassung. Das US-amerikanische Außenministerium strich in seinem jährlichen Bericht zur globalen Menschenrechtslage, der am 11.3.2008 vorgestellt wurde, China von seiner Schwarzen Liste der schlimmsten Menschenrechtsverletzer und würdigte damit die eingeleiteten Polizei- und Justizreformen. Gleichwohl sei die Menschenrechtslage weiter schlecht, Eingriffe in die Medien-, Presse- und Religionsfreiheit hätten zugenommen, und weiterhin gäbe es extralegale Tötungen, Zwangsarbeit und Folter. Das Pressebüro der Regierung in Beijing konterte zwei Tage später mit einem »Bericht über die Menschenrechte in den USA 2007«. Ungeachtet der bekannt gewordenen Fälle von Zensur und offener Repression konstatierten Beobachter auch eine größere Offenheit in den Medien gegenüber kritischen Fragen und Debatten über frühere Tabuthemen wie Abschaffung der Todesstrafe, Umerziehungslager oder das Recht auf Eigentum an Grund und Boden. Staats- und Parteichef Hu forderte in einer am 23.1.2008 veröffentlichten Grundsatzrede über Propaganda und Ideologie die Medien zu mehr Volksnähe, Orientierung an praktischen Fragen und Spiegelung der Vielfalt in der »geistigen Kultur« auf. Seine erste Bewährungsprobe bestand dieser Kurs während der Erdbebenkatastrophe im Mai 2008, als auch die einheimischen Medien mit einer bisher nicht gekannten Offenheit berichten konnten, ohne Zensur oder Maßregelung für Kritik befürchten zu müssen.
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