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Indonesien/Indien/Sri Lanka/Thailand: Tsunami-Katastrophe

 
Ein Seebeben der Stärke 9,0 auf der Richterskala – das erst fünfte jemals in dieser Stärke gemessene Beben – löste im Indischen Ozean eine gewaltige Flutwelle (Tsunami) aus, die am Morgen des 26.12.2004 in Küstenregionen Süd- und Südostasiens vermutlich mehr als 300000 Menschen ohne Vorwarnung in den Tod gerissen hat, fast eine Million Menschen wurde obdachlos. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation (WHO) waren im Katastrophengebiet bis zu fünf Millionen Menschen von jeglicher Grundversorgung abgeschnitten und hunderttausende von Seuchen bedroht. Die internationale Gemeinschaft begann unverzüglich eine beispiellose humanitäre Hilfsaktion gegen Hunger, Durst und Seuchen.Genaue Opferzahlen kaum feststellbar
Das Epizentrum des Bebens lag rund 300 km vor der Nordwestküste Sumatras. Die Flutwelle traf 13 Anrainerstaaten des Indischen Ozeans direkt, acht davon schwer. Fast 50 Staaten haben Tote in den betroffenen Gebieten zu beklagen (Ansässige, Touristen). In Süd- und Südostasien verwüstete die Flut ganze Küstenregionen; Dörfer, selbst Inseln gingen in den Fluten unter. Die Gesamtzahl der Toten wird auf über 160000, die der Vermissten auf über 140000 geschätzt. Genaue Zahlen wird es wohl nie geben, denn viele Leichen wurden – auch um der Seuchengefahr vorzubeugen – eilig in Massengräbern beigesetzt, ohne registriert zu werden, oder konnten noch nicht geborgen werden. Es wird Jahre dauern, bis Einheimische und internationale Helfer – vereint in der größten Hilfsaktion aller Zeiten – zumindest die materiellen Schäden beseitigt haben.
Die größten Zerstörungen entstanden in der indonesischen Provinz Aceh im Norden Sumatras, in Sri Lanka, Indien (insbesondere auf den Inseln der Andamanen und Nikobaren) und Thailand. Tote gab es auch in Myanmar, auf den Malediven, in Malaysia und in Ostafrika.Die Zahl der betroffenen Deutschen im Katastrophengebiet gab das Auswärtige Amt Anfang Juni 2005 mit 502 bestätigten Toten und 56 offiziell Vermissten an.Tsunami – »Große Welle im Hafen«
Tsunami ist die Bezeichnung für eine durch plötzliche Hebungen oder Senkungen des Meeresbodens bei Erdbeben, aber auch durch Erdrutsche oder Vulkanausbrüche verursachte Meereswoge. Diese kann sich mit einer Geschwindigkeit von bis zu 800 km/h über Entfernungen bis zu 20000 km ausbreiten, wobei die Geschwindigkeit einer Tsunami-Welle von der Meerestiefe abhängt, d.h. je tiefer desto schneller ist der Tsunami. Die Wogen, die 150 bis 300 km lang sein können, steigen in der Ufernähe einer Tiefseesteilküste auf 30 bis 50 m an. Auf hoher See sind sie meist nur zwei bis drei Meter hoch, da der Abstand zwischen den Wellenkämmen bis zu 100 km betragen kann. Sie werden deshalb von Schiffen kaum wahrgenommen. Nach dem ersten Auftreffen eines Tsunami auf eine Küste dauert es meist zehn bis 45 Minuten, bis die nächste Welle folgt. Zwischen den Kämmen fließt das Wasser in den immer noch weiten Wellentälern sogartig ab und legt den Meeresboden auf einer größeren Strecke ins Meer hinaus frei. Daher auch der Name Tsunami: Japanische Fischer, die draußen auf dem Meer keine größeren Wellen bemerkt hatten, fanden bei der Rückkehr ihren Heimathafen verwüstet vor und sprachen deshalb von einer »großen Welle im Hafen«.
Das Seebeben vom 26.12.2004 entstand, als sich zwei tektonische Platten der Erdkruste aus ihrer Verkantung lösten und sich die westlich gelegene Indisch-Australische Platte unter die der Eurasischen Platte vorgelagerte kleinere Burma-Platte schob. Der Meeresboden vor Sumatra sank dadurch auf einer Länge von rund 1200 km ruckartig um fünf bis sechs Meter ab und federte anschließend wieder hoch. Das drückte den Ozean nach oben und löste die gewaltigen Flutwellen aus.Die bisher größten Tsunami-Katastrophen
Der höchste bisher gemessene Wert auf der 1935 durch den US-amerikanischen Seismologen Charles Francis Richter (1900–1985) entwickelten und nach ihm benannten Skala beträgt 9,5. Er wurde bei einem Seebeben am 22.5.1960 vor der Pazifikküste Chiles festgestellt. Eine elf Meter hohe Welle tötete damals in Chile 5700 Menschen. Auch auf Hawaii kamen 61 Menschen ums Leben; dort konnte jedoch durch ein bereits bestehendes erstes Frühwarnsystem der USA der Ort Hilo größtenteils rechtzeitig evakuiert werden. Infolge eines der heftigsten Erdbeben der Neuzeit vor der Küste Portugals starben am 1.11.1755 in Lissabon vermutlich über 60000 Menschen: Als Überlebende der zu zwei Dritteln zerstörten Stadt an das Ufer des Tejo und in Booten auf das Meer flüchten, wurden sie von mehreren Riesenwellen überrascht und fortgespült. Zu der bis 2004 größten Tsunami-Katastrophe im Indischen Ozean kam es am 27.8.1883 nach dem Ausbruch des Vulkans Krakatau in der Sundastraße. Ein dadurch ausgelöster bis zu 40 m hoher Tsunami verwüstete ganze Landstriche an den Küsten von Java und Sumatra, 36000 Menschen ertranken. Der so genannte Sanriku-Tsunami, eine durch ein Erdbeben ausgelöste 30 m hohe Meereswoge, überraschte am 15.6.1896 die Ostküste Japans während religiöser Feierlichkeiten; 26000 Menschen verloren ihr Leben. Die italienische Hafenstadt Messina auf Sizilien wurde am 28.12.1908 fast vollständig durch ein Erdbeben und einen darauf folgenden Tsunami zerstört; mehr als 75000 Bewohner der Stadt fanden den Tod. Ein Beben der Stärke 7,8 auf der Richterskala im Gebiet der im Süden der Philippinen gelegenen Insel Mindanao löste am 17.8.1976 eine Springflut aus, die in Küstenstädten im Morogolf 8000 Menschen getötet haben soll. Am 17.7.1998 zerstörte eine zehn Meter hohe Flutwelle nach einem Seebeben der Stärke 7,1 drei Dörfer an der Nordküste von Papua-Neuguinea, mindestens 2000 Bewohner kamen ums Leben.
Internationale Hilfe
Drei Monate nach der Tsunami-Katastrophe vom Dezember 2004 waren die meisten Überlebenden in Südostasien mit Lebensmitteln versorgt und in Notunterkünften untergebracht. Dank der starken Präsenz internationaler Hilfsorganisationen im Katastrophengebiet – ihre Zahl stieg zeitweise auf über 1200 an – konnte der Ausbruch von Seuchen weitgehend vermieden werden. Die Notversorgungsphase wurde am 26.3. 2005 offiziell beendet und die Phase des Wiederaufbaus eingeleitet.
Das UN-Kinderhilfswerk (UNICEF) zog am 25.3.2005 eine Bilanz der bisher geleisteten Hilfe: Die schnelle Reaktion habe »eine Katastrophe nach der Katastrophe verhindert«. Inzwischen besuchten mehr als 80% der Kinder in den am schlimmsten betroffenen Ländern Indonesien und Sri Lanka wieder die Schule. Unbegleitete Kinder erhielten Schutz und Hilfe bei der Suche nach Angehörigen. In Indonesien seien neben medizinischer Versorgung Schulmaterial für 240000 Kinder sowie 121 große Schulzelte bereitgestellt worden. Zugleich habe UNICEF ein Ausbildungsprogramm für 2000 neue Lehrer gestartet. In Sri Lanka seien Medikamente für 150000 Menschen und Trinkwasser für 200000 Menschen bereitgestellt worden. Weil in den betroffenen Gebieten die lokalen Verwaltungen zum großen Teil zerstört und viele der Mitarbeiter tot seien oder vermisst würden, gingen die Vorbereitungen für den Wiederaufbau nur langsam voran. Vor der Wiedererrichtung von Häusern, Schulen und Gesundheitseinrichtungen müsse entschieden werden, ob dies an den alten Standorten geschehen könne oder ein größerer Abstand zum Wasser eingehalten werden solle. In Indonesien und Sri Lanka erschwerten zudem die langjährigen Bürgerkriegskonflikte die Abstimmung der Hilfe und den Zugang zu einigen Gebieten.Die Federführung für die Maßnahmen der Vereinten Nationen (UN) hat das von dem Norweger Jan Egeland geleitete UN-Büro zur Koordinierung Humanitärer Hilfe (Office for the Coordination of Humanitarian Aid – OCHA). Egeland warnte bei der Vorstellung einer Zwischenbilanz der Tsunami-Hilfe am 6.4.2005 in Genf vor Korruption im milliardenschweren Wiederaufbauprogramm für die Tsunami-Region und versicherte, dass die UN möglichen Betrug und Misswirtschaft ernsthaft bekämpfen würden. Egeland bezifferte die von Regierungen zugesagte langfristige Wiederaufbauhilfe auf 5,8 Mrd. US-$. Darüber hinaus hätten Privatpersonen und Unternehmen 897 Mio. US-$ gespendet oder in Aussicht gestellt. Bisher seien 870 Mio. US-$ auf UN-Konten für Soforthilfe überwiesen oder fest zugesagt worden. Der benötigte Betrag für die humanitäre Soforthilfe war von den UN auf zunächst 977 Mio. US-$ geschätzt und später auf 1,08 Mrd. US-$ erhöht worden.Sechs Monate nach dem verheerenden Seebeben waren zwar die Aufräumungsarbeiten in den betroffenen Küstengebieten
vorangekommen, aber Tausende der obdachlos gewordenen Menschen lebten immer noch in Zelten oder Notunterkünften. In Indonesien behinderten Bürokratie und Korruption den Wiederaufbau, in Sri Lanka hingegen kamen die Hilfsmaßnahmen nur schleppend voran, da sich die Regierung erst Ende Juni 2005 mit den Tamilen-Rebellen auf ein Abkommen einigte, die internationalen Hilfsgelder zu teilen. Nach einer Untersuchung der Hilfsorganisation Oxfam vom Juni 2005 war die Hilfe in allen betroffenen Ländern bisher überwiegend Geschäftsleuten und Landbesitzern zugute gekommen, während die Armen am wenigsten davon profitiert hätten.
Die deutsche Hilfe für die Tsunami-Opfer konzentriert sich auf Indonesien und Sri Lanka. Am 18.3.2005 beendete die Bundeswehr ihren humanitären Hilfseinsatz im indonesischen Banda Aceh. Das als schwimmendes Krankenhaus ausgerüstete Versorgungsschiff Berlin kehrte an das Horn von Afrika zurück, um dort seinen Einsatz bei der Operation »Enduring Freedom« fortzusetzen. Die Bundeswehr hatte Anfang Januar zunächst ein mobiles Rettungszentrum in der Provinz Aceh aufgebaut und dann die Grundversorgung des General Hospital in der Provinzhauptstadt Banda Aceh sichergestellt. 330 deutsche Soldaten konnten mehr als 2300 Flutopfer medizinisch versorgen.Die Bundesregierung hatte bereits wenige Tage nach der Katastrophe 20 Mio. € Soforthilfe geleistet. Anfang Januar 2005 sicherte das Kabinett weitere 500 Mio. € zu. Von dieser Summe hat sie 50 Mio. € an die UN überwiesen, 15 Mio. € wurden zur Abdeckung der Kosten des Bundeswehreinsatzes in der Provinz Aceh verwendet und 13 Mio. € hat die Bundesregierung der Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) zur Verfügung gestellt, die in Indonesien und Sri Lanka in der Wasser- und Stromversorgung arbeitet. Der Großteil der zugesagten Hilfe soll in den nächsten drei bis fünf Jahren vor allem für den Wiederaufbau der Bereiche Gesundheitsversorgung, Bildung, Wohnungsbau, Wasser- und Stromversorgung, Wirtschaftsförderung und Beratung der Verwaltung aufgewendet werden. Bundeskanzler Gerhard Schröder ernannte am 27.1.2005 die Frau des früheren Bundespräsidenten Johannes Rau, Christina, zur Beauftragen für die Koordination der Patenschafts-Initiative der Bundesregierung im Rahmen der Fluthilfe für Südasien. Deren Ziel ist es, deutsche Länder, Kommunen, Schulen und Vereine zur langfristigen Zusammenarbeit mit den Staaten in der Katastrophenregion zu bewegen.Frühwarnsystem für den Indischen Ozean
Viele Menschenleben in Süd- und Südostasien hätten gerettet werden können, wären besonders betroffene Länder an ein Frühwarnsystem angeschlossen gewesen. Ein solches Frühwarnsystem gibt es für 26 Anliegerstaaten des Pazifik. Es besteht aus einem Netz von Sensoren im Meer, die seismische Aktivitäten messen. Sind die Kriterien für das Entstehen gefährlicher Tsunamis erfüllt, werden betroffene Küstenregionen gewarnt. Koordiniert wird das System seit 1965 vom Pacific Tsunami Warning Center (PTWC) in Ewa Beach auf Hawaii.
Nachdem bereits am 6.1.2005 auf einer ersten internationalen Geberkonferenz in der indonesischen Hauptstadt Jakarta die Einrichtung eines Tsunami-Frühwarnsystems im Indischen Ozean grundsätzlich beschlossen worden war, einigten sich Delegierte aus 168 Staaten auf der Weltkonferenz zur Katastrophenvorsorge im japanischen Kobe (18.–22.1.2005) auf einen – allerdings nicht bindenden – »Aktionsplan 2005–2015« für Maßnahmen zum besseren Schutz bei Naturkatastrophen. Binnen zwölf bis 18 Monaten soll demnach unter Führung der UN ein Tsunami-Frühwarnsystem für den Indischen Ozean installiert werden.Delegierte aus 44 Staaten und 14 internationalen Organisationen berieten am 28./29.1.2005 auf der vom Beben stark betroffenen thailändischen Ferieninsel Phuket über den Standort des Frühwarnsystems. Thailand scheiterte mit dem Vorschlag, ein zentrales System für den gesamten Indischen Ozean zu installieren. Stattdessen verständigten sich Indonesien, Thailand und Indien darauf, mehrere dezentrale Warnzentren einzurichten, deren Betrieb von der Internationalen Ozeanographischen Kommission (IOC) überwacht und koordiniert werden soll.Am Rande der Konferenz auf Phuket erklärte der indonesische Forschungsminister Kusmayanto Kadiman, dass sich sein Land für ein deutsches Frühwarnsystem entschieden habe, das vom Potsdamer GeoForschungsZentrum (GFZ) entwickelt worden ist. Eine entsprechende Vereinbarung wurde am 14.3. 2005 in Jakarta unterzeichnet. Das System, dessen Gesamtkosten von rund 45 Mio. € von Deutschland getragen werden, besteht aus neu entwickelten Bojen und Drucksensoren am Meeresboden, die Wellenbewegungen erfassen und die Daten an Rechenzentren übertragen. Die ersten Bojen sollen Ende Oktober 2005 vor der indonesischen Küste ausgesetzt werden; ab 2008 soll das System komplett einsatzfähig sein.
 
 

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