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UN: Reform der Vereinten Nationen

 
Am Rande der 59. UN-Generalversammlung im September 2004 in New York unternahmen Japan, Deutschland, Indien und Brasilien einen gemeinsamen Vorstoß zur Reform des UN-Sicherheitsrates. Die Regierungen dieser sogenannten G4-Staaten kündigten an, ihre Kandidaturen gegenseitig zu unterstützen. Am 27.9 erhob Südafrika Anspruch auf zwei Sitze für afrikanische Staaten im Sicherheitsrat, darunter einen für Südafrika. Auch Nigeria, Ägypten und Senegal hatten bereits Ansprüche angemeldet.Schon im November 2003 hatte UN-Generalsekretär Kofi Annan eine Arbeitsgruppe ins Leben gerufen, die sich mit der Reform der UN beschäftigen sollte. Dieses sogenannte »High Level Panel on challenges, threats and change« unter Vorsitz des früheren thailändischen Ministerpräsidenten Anand Panyarachun legte am 1.12.2004 in New York einen Bericht mit 101 Empfehlungen zur UN-Reform vor. Das 16-köpfige Gremium, dem u.a. neben dem Generalsekretär der Arabischen Liga, Amr Muhammed Moussa und dem Ex-US-Sicherheitsberater Brent Scowcroft auch der frühere russische Premierminister Jewgenij M. Primakow, die frühere norwegische Regierungschefin Gro Harlem Brundtland und der ehemalige chinesische Vize-Premier Qian Qichen angehörten, unterbreitete u.a. zwei Vorschläge zur Erweiterung des UN-Sicherheitsrates unter dem Titel »Eine sichere Welt – unsere gemeinsame Verantwortung«. Das erste Reformmodell würde die Aufstockung der ständigen Ratsmitglieder von fünf auf 11 und der nichtständigen Mitglieder von zehn auf 13 vorsehen. Von den neuen ständigen Sitzen im Sicherheitsrat entfielen dabei zwei auf Afrika, zwei auf Asien und Ozeanien, einer auf Amerika und einer auf Europa. Das zweite Reformmodell sieht die Schaffung von acht »halbständigen« Sitzen mit verlängerbarer vierjähriger Amtszeit vor – zusätzlich zu den unverändert fünf ständigen und zehn nichtständigen Mitgliedern mit wie bisher zweijähriger Amtszeit. Bei diesem zweiten Reformmodell entfielen auf jede der vier großen Weltregionen zwei halbständige Sitze fallen.Obwohl die Vorschläge des High Level Panel sich keineswegs auf eine Reform des UN-Sicherheitsrates konzentrierten, sondern auf eine umfassende Erneuerung der Weltorganisation abzielten, verengte sich die öffentliche Diskussion schnell wieder auf die Frage nach möglichen neuen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates. Um diese Fixierung auf den Sicherheitsrat aufzubrechen, rief Annan die Mitgliedstaaten in seinem am 21.3.2005 veröffentlichten Bericht »In größerer Freiheit: auf dem Weg zu Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten für alle« dazu auf, noch vor dem für September 2005 geplanten UN-Weltgipfel eine Entscheidung über die Zukunft des Sicherheitsrates zu treffen. Zwar sei eine Entscheidung in dieser Frage im Konsens vorzuziehen; sollte ein solcher unmöglich sein, dürfe dies allerdings kein Vorwand für eine erneute Vertagung der Frage sein.Sein Bericht, in dem Annan weitgehend auf die Empfehlungen des High Level Panels zurückgriff, beinhaltete Vorschläge zu einer umfassenden Reform der Weltorganisation und ihrer Politik. Notwendig sei, so Annan, entschiedenes Handeln, um Armut zu bekämpfen, Entwicklung zu befördern, die kollektive Sicherheit zu festigen und den Schutz der Menschenrechte zu stärken. Annan mahnte, zur Erreichung der Millennium-Entwicklungsziele seien erhebliche zusätzliche Anstrengung der Entwicklungsländer wie der Industrienationen erforderlich. Alle Staaten forderte er dazu auf, die Interdependenz von Entwicklung, Sicherheit und Menschenrechten anzuerkennen und eine umfassende Strategie zur Abwehr von Bedrohungen zu entwickeln; dazu gehöre auch eine Definition des Begriffes »Terrorismus«. Nationale Souveränität müsse da an ihre Grenzen stoßen, wo der Staat nicht willens oder in der Lage sei, seine Bürger zu schützen. Die Verantwortung gehe in diesen Fällen auf die internationale Gemeinschaft über; dies schließe Gewaltanwendung im Notfall mit ein.Zur Wiederbelebung der UN selbst empfahl Annan
-- eine Entschlackung der alljährlichen Tagesordnung der Generalversammlung und deren Konzentration auf das Wesentliche;
-- eine Reform des Sicherheitsrates;
-- eine Stärkung des Wirtschafts- und Sozialrates (ECOSOC);
-- die Schaffung eines Menschenrechtsrates anstelle der bisherigen, an einer Glaubwürdigkeitskrise leidenden Menschenrechtskommission;
-- die Schaffung einer Kommission für friedensschaffende Maßnahmen (Peacebuilding), die Staaten auf dem Weg vom Bürgerkrieg zu einem dauerhaften Frieden begleiten solle;
-- die Abschaffung des funktionslosen Treuhandrates und die Streichung der gegen Deutschland, Italien und Japan gerichteten »Feindstaatenklauseln«.
Die Vorschläge sollen während des Sondergipfels im Rahmen der UN-Generalversammlung am 14. und 15.9.2005, 60 Jahre nach Gründung der Vereinten Nationen, erörtert werden.Die Aufforderung Annans, eine Sicherheitsratsreform noch vor der Sommerpause zu verabschieden, ermutigte die G4, ihren Reformvorschlag weiterzuentwickeln. Bereits kurz nach der Veröffentlichung der beiden Reformmodelle schien klar, dass das zweite Reformmodell ohnehin kaum Erfolgschancen haben würde. Der sog. »Coffee Club« der Gegner des G4-Modells unter Führung Italiens unternahm daher den Versuch, jegliche Entscheidung zu verhindern. Eine Reform von solcher Tragweite könne nicht per Mehrheitsentscheid getroffen werden, sondern bedürfe des Konsenses aller 191 Mitglieder.Die G4 hingegen argumentierten, ein solcher Konsens sei unmöglich. Die seit nunmehr 13 Jahren andauernde Debatte müsse nun endlich zu Ergebnissen führen. Am 16.5.2005 legten sie daher einen ersten detaillierten Resolutionsentwurf zur Sicherheitsratsreform vor. Dieser baut auf dem Modell A des High-Level Panel auf, sieht aber einen zusätzlichen nichtständigen Sitz für Osteuropa vor.Der Resolutionsentwurf skizziert zur Annahme des Vorschlags ein dreistufiges Verfahren: zunächst eine Grundsatzentscheidung über die Reform; sodann die Wahl der neuen ständigen Mitglieder gemäß dem zuvor festgelegten Verteilungsschlüssel; schließlich die formale Änderung der UN-Charta. Alle drei Schritte bedürfen einer Zweidrittelmehrheit der 191 Mitgliedsstaaten in der Generalversammlung; die Änderung der Charta muss zudem von zwei Dritteln der Mitgliedstaaten ratifiziert werden, darunter von allen bisherigen ständigen Mitgliedern des Sicherheitsrates (China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA).Die G4-Staaten argumentieren, der Sicherheitsrat spiegele in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung die Realitäten des 21. Jahrhunderts nicht mehr angemessen wider. Vor allem Entwicklungsländer seien von einer gleichberechtigten Repräsentation im Sicherheitsrat ausgeschlossen; dies gelte aber auch für Länder wie Japan und Deutschland, die als zweit- bzw. drittgrößter Beitragszahler der UN wie auch durch ihr Engagement bei Friedensmissionen und als Geber von Entwicklungshilfe große Verantwortung übernommen hätten.Als Hauptgegner einer Erweiterung des UN-Sicherheitsrates hatte sich seit längerem Italien profiliert. Italien befürchtet, dass mit einem ständigen Sitz Deutschlands und den jetzigen Sicherheitsratmitgliedern Frankreich und Großbritannien die Bedeutung Italiens in der Europäischen Union schrumpfen würde. Aber auch die anderen Kandidaten Brasilien, Japan und Indien haben Widerstand aufgrund regionaler Differenzen zu erwarten. So betonten etwa Pakistan, Argentinien und Mexiko ihre ablehnende Haltung zu der Reform. Unter den bisherigen ständigen Mitgliedern sprach sich China gegen den Resolutionsentwurf aus; Hintergrund ist der andauernde Konflikt mit der ehemaligen Kolonialmacht Japan. Während die USA sich einer offiziellen Stellungnahme bislang enthielten, aber Skepsis erkennen ließen, unterstützen Frankreich, Großbritannien und Russland die Reform jedenfalls im Grundsatz.In einer überarbeiteten Fassung des Resolutionsentwurfs erklärten die G4 am 8.6.2005 ihren vorläufigen Verzicht auf das Vetorecht, das den ständigen Mitgliedern des UN-Sicherheitsrates bislang zukommt. Die Frage der Ausdehnung des Vetorechts auf die neuen ständigen Mitglieder soll dem neuen Entwurf zufolge erst auf einer Revisionskonferenz endgültig beantwortet werden, die 2020 zusammentreten soll. Mit dem Verzicht auf das Veto erhoffen sich die G4 eine größere Akzeptanz ihres Vorschlags auch bei den Staaten, die bei einer Erweiterung des Sicherheitsrates die Arbeitsfähigkeit des Gremiums in Gefahr sehen.
 
 

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