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EU: Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP)

 
Deutschland, Frankreich und Italien konnten sich mit ihrer Forderung nach Lockerung des SWP durchsetzen: Der von den EU-Finanzministern am 20.3.2005 einstimmig erzielte Kompromiss zur Reform des SWP, der vom ER am 22./23.3. gebilligt wurde, sieht im Wesentlichen eine stärkere Berücksichtigung länderspezifischer Gegebenheiten vor. Damit werden die Ermessenspielräume von Kommission und Rat bei der Haushaltsüberwachung deutlich ausgeweitet und die Regelbindung des SWP, der solide öffentliche Finanzen gewährleisten soll, weitgehend außer Kraft gesetzt. Die Verpflichtung zur Haushaltsdisziplin wird abgeschwächt. Die beiden Referenzwerte für die Beurteilung der Haushaltslage – –3% des BIP für das Haushaltsdefizit und 60% des BIP für die Staatsverschuldung – werden formal beibehalten. Die bisherige Verpflichtung der Mitgliedstaaten, mittelfristig einen nahezu ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt anzustreben, wird ersetzt durch länderspezifische mittelfristige Haushaltsziele, die mind. alle vier Jahre überprüft werden; die Spanne liegt konjunkturbereinigt und ohne Anrechnung einmaliger Maßnahmen zwischen –1% des BIP für Staaten mit niedriger Schuldenquote/hohem Potenzialwachstum und einem ausgeglichenen oder einen Überschuss aufweisenden Haushalt für Staaten mit hoher Schuldenquote/niedrigem Potenzialwachstum. Von Mitgliedstaaten, die ihr Ziel noch nicht erreicht haben, wird eine um Konjunktureffekte und Einmalmaßnahmen bereinigte Haushaltskonsolidierung um 0,5 Prozentpunkte des BIP im Jahr gefordert (bei günstiger Konjunktur mehr, in »schlechten Zeiten« weniger). Abweichungen vom mittelfristigen Haushaltsziel oder vom Anpassungspfad sind bei bestimmten Strukturreformen zulässig.Bei der Durchführung eines Verfahrens bei einem übermäßigen öffentlichen Defizit werden zusätzliche Gründe eingeführt, die eine vorübergehende und in der Nähe des Referenzwerts (nicht quantifiziert) bleibende Überschreitung der 3%-Defizitgrenze rechtfertigen können. Als Ausnahmen gelten nicht nur Naturkatastrophen oder ein Rückgang des realen BIP um mind. 2%, sondern künftig bereits eine negative Wachstumsrate oder ein schwaches Wirtschaftswachstum über einen längeren Zeitraum. Die »sonstigen einschlägigen Faktoren«, die laut EG-Vertrag bei der Beurteilung eines Haushaltsdefizits entlastend zu berücksichtigen sind, wurden konkretisiert: Entwicklung des Wachstumspotenzials, aktuelle Konjunkturlage, Umsetzung der Lissabon-Strategie, Ausgaben für Forschung, Entwicklung und Innovation, frühere Haushaltskonsolidierung in Zeiten günstiger Konjunktur, Tragfähigkeit des Schuldenstands, öffentliche Investitionen, Qualität der öffentlichen Finanzen, Finanzbeiträge zugunsten der internationalen Solidarität und zur Verwirklichung der Ziele der europäischen Politik, insb. dem europäischen Einigungsprozess (z.B. Nettobeiträge Deutschlands an den EU-Haushalt, Kosten der deutschen Wiedervereinigung sowie Frankreichs Entwicklungshilfe- und Verteidigungsausgaben), und bestimmte Reformen der Rentensysteme. Bei eingeleiteten Defizitverfahren kann die Frist zur Rückführung des Haushaltsdefizits auf –3% des BIP auf zwei Jahre verlängert werden.Die Regierung Griechenlands räumte am 21.9.2004 ein, die bis zu den Parlamentswahlen am 7.3. amtierende PASOK-Regierung habe seit 2000 die gesamtstaatliche Neuverschuldung deutlich zu niedrig ausgewiesen. Eine darauf folgende Überprüfung durch Eurostat vor Ort führte zu massiven Revisionen der Daten, die Griechenland zur Beurteilung seiner Haushaltslage eingereicht hatte; sie sind v.a. auf Korrekturen bei den Militärausgaben und den Überschüssen der Sozialversicherung zurückzuführen: Griechenlands Haushaltsdefizit betrug 1997–2003 zwischen –3,4% und –6,4% des BIP und war damit in jedem Jahr um 1,6–3,5 Prozentpunkte höher als ursprünglich gemeldet. Nach oben korrigiert wurden auch die Angaben für die Staatsverschuldung. D.h., Griechenland hat die Konvergenzkriterien noch nie erfüllt. Es hätte daher 2001 den Euro nicht einführen dürfen. Zudem hat es seither jedes Jahr gegen den SWP verstoßen. Die Entscheidung des ER vom 19.6.2000 über die Einführung des Euro in Griechenland bleibt gültig; sie beruhte auf dem damaligen Kenntnisstand. Wegen der inkorrekten Datenmeldungen leitete die Kommission am 1.12.2004 ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Griechenland ein.Zuverlässige und zeitnahe statistische Daten zu den öffentlichen Finanzen bilden die Grundlage für die Gestaltung der Wirtschaftspolitik, die multilaterale Haushaltsüberwachung und die Entscheidung, ob sich ein Mitgliedstaat für die Einführung des Euro qualifiziert hat. Daher sind Maßnahmen zur Verbesserung der Haushaltsstatistiken in Vorbereitung (u.a. mehr Befugnisse für Eurostat bei der Kontrolle der von den Mitgliedstaaten gemeldeten Daten, mehr Transparenz der eingereichten Daten und Unabhängigkeit der nationalen statistischen Ämter).Die Entwicklung der öffentlichen Finanzen im Euro-Währungsgebiet war auch 2004 nicht zufrieden stellend: Die durchschnittliche gesamtstaatliche Neuverschuldung blieb mit 2,7% des BIP (2003: 2,8%) fast unverändert; die durchschnittliche öffentliche Schuldenquote stieg auf 71,3% des BIP (2004: 70,8%). Deutschland und Frankreich (Haushaltsdefizit 2004 jeweils –3,7% des BIP), die beiden größten Staaten des Euro-Währungsgebiets, überschritten 2004 zum dritten Mal in Folge den Referenzwert für die gesamtstaatliche Neuverschuldung von 3% des BIP. In Griechenland liegt das Haushaltsdefizit nach den umfangreichen statistischen Revisionen seit 1997 über –3%. Auch Italien und sechs der 13 EU-Staaten, die den Euro noch nicht eingeführt haben, wiesen 2004 Haushaltsdefizite von über –3% des BIP auf (Großbritannien, Malta, Polen, Slowakische Republik, Ungarn und Zypern). Die für die Staatsverschuldung zulässige Obergrenze von 60% des BIP überschritten 2004 Belgien, Deutschland, Frankreich, Griechenland, Italien, Österreich und Portugal sowie die beiden neuen EU-Staaten Malta und Zypern.Der EuGH klärte die Zuständigkeiten von Kommission und Rat in Verfahren bei einem übermäßigen öffentlichen Defizit: Der Beschluss der EU-Finanzminister vom 25.11.2003, entgegen den Empfehlungen der Kommission die am 21.1. bzw. 3.6. gegen Deutschland und Frankreich eingeleiteten Defizitverfahren auszusetzen und die vom Rat angenommenen, an die beiden Mitgliedstaaten gerichteten Empfehlungen zur Korrektur des übermäßigen Defizits ohne erneute Empfehlung der Kommission zu ändern, ist nach einem EuGH-Urteil vom 13.7.2004 aus formalen Gründen nichtig. Der Rat verfüge bei Defizitverfahren über einen Ermessenspielraum; er kann Vorschläge der Kommission ändern, müsse aber die Vorschriften von EG-Vertrag und SWP – und damit das Initiativrecht der Kommission – einhalten. Die Kommission beschloss am 14.12., die Defizitverfahren gegen Deutschland und Frankreich ruhen zu lassen (vom Rat am 18.1.2005 bestätigt), unter der Voraussetzung, dass beide Staaten ihre Zusage, das Haushaltsdefizit 2005 auf –3% des BIP zurückzuführen, auch tatsächlich einhalten. Angesichts des niedrigen Wirtschaftswachstums dürfte Deutschland dieses Ziel verfehlen.Das auf Empfehlung der Kommission vom Rat am 5.7.2004 eingeleitete Defizitverfahren gegen Griechenland wurde schrittweise fortgeführt. Am 17.2.2005 wurde Griechenland (Haushaltsdefizit 2004: –6,1% des BIP) als erster EU-Staat in Verzug gesetzt, da es keine wirksamen Maßnahmen zum Abbau seines übermäßigen Defizits ergriffen hat; zugleich wurde die Frist zur Verringerung des Haushaltsdefizits auf unter –3% des BIP bis 2006 verlängert. Dies ist mit einer verstärkten Überwachung der nationalen Haushaltspolitik und – bei erneuter Nichterfüllung der Auflagen – der Möglichkeit von Geldbußen von bis zu 0,5% des BIP verbunden.Defizitverfahren sind auch absehbar gegen Italien, das am 5.7.2004 eine Frühwarnung hatte vermeiden können, dessen Haushaltsdefizit nach Datenrevision aber 2003 und 2004 jeweils –3,1% des BIP betrug und 2005 zunehmen wird, sowie gegen Portugal, dessen Haushaltsdefizit 2005 auf über –6% des BIP steigen wird.Auf Empfehlung der Kommission stellte der Rat am 5.7.2004 das Bestehen eines übermäßigen öffentlichen Defizits in sechs der zehn neuen EU-Staaten fest; aufgrund besonderer Umstände wurde die Frist für die Rückführung ihrer Defizite unter den Referenzwert von –3% des BIP verlängert: Zypern 2005, Malta 2006, Polen und Slowakische Republik 2007 sowie Tschechische Republik und Ungarn 2008. Fortgesetzt wurde im Berichtszeitraum 2004/2005 nur das Defizitverfahren gegen Ungarn; der Rat stellte am 18.1.2005 fest, dass keine wirksamen Maßnahmen zur Erreichung der im ungarischen Konvergenzprogramm vorgesehenen Ziele für
das Haushaltsdefizit (2004: –4,6% des BIP; 2005: –4,1%) ergriffen wurden. Anders als im Falle Griechenlands drohen jedoch nicht verstärkte Überwachung und Sanktionen, da Ungarn den Euro noch nicht eingeführt hat.

 
 

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