FWA 99, Spalte 78
Präsident Levon Ter-Petrosjan tritt am 3.2. 1998 unter dem Druck seiner politischen Gegner und nach mehreren mutmaßlich politisch motivierten Anschlägen auf Regierungsvertreter zurück. Kurz zuvor hatten führende Verbündete des Präsidenten ihren Rücktritt eingereicht, darunter Außenminister Alexander Arsumanjan, Zentralbankchef Bagrat Asatrjan und Parlamentspräsident Babken Ararktsjan; zudem waren 40 Abgeordnete des regierenden Republikanischen Blocks zur Opposition gewechselt. Hintergrund der innenpolitischen Krise sind Meinungsverschiedenheiten über die Politik in bezug auf die in Aserbaidschan gelegene Enklave Nagorno-Karabakh. Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Interessen zahlreicher Staaten an der erdölreichen Region um das Kaspische Meer und einer zu erwartenden wirtschaftlichen Stärkung Aserbaidschans sowie zur Vermeidung einer internationalen Isolierung Armeniens hatte sich Präsident Ter-Petrosjan nach langem Widerstand im Herbst 1997 grundsätzlich für den Stufenplan der OSZE zur Beilegung des Konflikts um Nagorno-Karabakh ausgesprochen. Führende Regierungsmitglieder, darunter Ministerpräsident Robert Kotscharjan, sowie führende Vertreter des bisher loyalen Militärs lehnen jedoch Zugeständnisse an Aserbaidschan ab. Das Parlament nimmt den Rücktritt von Präsident Ter-Petrosjan am 4.2. mit 111 gegen 36 Stimmen an. Bei den vorgezogenen Präsidentschaftswahlen am 16.3. 1998 (Wahlbeteiligung 63,5 %) erreicht keiner der zwölf Kandidaten die absolute Mehrheit: Ministerpräsident Kotscharjan, der amtierende Staatschef, erhält 38,8 % der Stimmen, der frühere Erste Sekretär der KP Armeniens (1974-88), Karen Demirtschjan, 30,7 %, der Vorsitzende der National-Demokratischen Union, Wasgen Manukjan, der bei den umstrittenen Präsidentschaftswahlen von 1996 Ter-Petrosjan unterlag 12,2 % und der KP-Vorsitzende Sergej Badaljan 11,0 %. Sieben der zwölf Kandidaten, darunter Demirtschjan, Manukjan und Badaljan, erheben am 17.3. 1998 gemeinsam den Vorwurf der Wahlfälschung. OSZE-Wahlbeobachter stellen erhebliche Unregelmäßigkeiten fest. Bei den Stichwahlen am 30.3. (Wahlbeteiligung 68,1 %) kann sich Kotscharjan mit 59,5 % der Stimmen gegen Demirtschjan (40,5 %) durchsetzen. Kotscharjan, ein Vertreter einer harten Linie im Konflikt um Nagorno-Karabakh, wird am 9.4. als neuer Präsident vereidigt. Er ernennt am 10.4. den bisherigen Wirtschafts- und Finanzminister Armen Darbinjan zum neuen Ministerpräsidenten. Außenminister in der am 20.4. ernannten neuen Regierung wird Wartan Oskanjan, der bisher die US-Staatsbürgerschaft besaß und seit 1994 stellv. Außenminister und Leiter der armenischen Delegation bei den Verhandlungen über Nagorno-Karabakh war; die Minister für Verteidigung und Inneres, Wasgen Saskisjan und Serge Saskisjan, bleiben im Amt.
Die Bevölkerung des rohstoffarmen Landes leidet weiterhin unter den Folgen der schweren Wirtschaftskrise und der von Aserbaidschan sowie der Türkei wegen des Konflikts um Nagorno-Karabakh verhängten Wirtschaftsblockade. Nach Angaben von Interfax ging die Zunahme des realen BIP 1997 auf 3,1 % (1996: 5,8 %) zurück.
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