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Deutschland: Chronik des Wahlkampfs

 
Im letzten Jahr der Legislaturperiode bestimmten unerwartete externe Rahmenbedingungen die Ausgangspositionen f�r den Wahlkampf: die Terrorattacke gegen die USA am 11.9. 2001 mit schwerwiegenden au�en-, innen- und wirtschaftspolitischen Folgen; die entgegen den Erwartungen anhaltende Flaute der Weltwirtschaft; die Hochwasserkatastrophe an der Elbe sowie die Auseinandersetzung �ber einen m�glichen Angriff der USA auf den Irak. Unter diesen Vorzeichen gerieten politische und personelle Aff�ren, die keinen neuen Z�ndstoff mehr lieferten (CDU-Parteispendenskandal) oder von zweitrangiger Bedeutung schienen (z.B. SPD-Parteispendenaff�re in NRW, Scharping-Entlassung, Bonusmeilenaff�re) verh�ltnism��ig rasch aus dem Blickfeld. - Die Personalisierungsstrategie der Wahlkampfzentralen verband sich mit einem extensiven Medienwahlkampf und lie� die Wahlprogramme der Parteien noch weiter in den Hintergrund treten als schon in fr�heren Wahljahren. Als H�hepunkt des Wahlkampfs galten die beiden ersten deutschen �Fernsehduelle�, die sich die beiden Spitzenkandidaten Gerhard Schr�der (SPD) und Edmund Stoiber (CDU/CSU) am 25.8. und 8.9. 2002 lieferten.

CDU und CSU
Nach mehreren Monaten interner Auseinandersetzungen um die Kanzlerkandidatur f�r die Unionsparteien (�K-Frage�) verzichtete die CDU-Vorsitzende Angela Merkel am 11.1. 2002 zugunsten des bayerischen Ministerpr�sidenten und CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber auf die Spitzenkandidatur f�r die Union. Zum Leiter seines Wahlkampfteams ernannte Stoiber am 22.1. den ehemaligen Chefredakteur von �Bild am Sonntag�, Michael Spreng.
Noch im selben Monat �berfl�gelten CDU/CSU (41%) und FDP (8%) bei Meinungsumfragen (ZDF-Politbarometer) die Konkurrenz und h�tten nach der sog. Sonntagsfrage erstmals seit November 1999 wieder die parlamentarische Mehrheit gewonnen. Bei der Frage nach der Kanzlerpr�ferenz konnte Stoiber (45%) im M�rz zu Schr�der (47%) fast aufschlie�en. Die im Vergleich zur SPD h�here Einsch�tzung der Union bei der von den Parteien repr�sentierten Sachkompetenz versuchte Stoiber durch ein �Kompe-tenzteam� zu untermauern, dessen Mitglieder er zwischen Mai und Juli sukzessive vorstellte, unter ihnen Lothar Sp�th, Wolfgang Sch�uble, Friedrich Merz, G�nther Beckstein und Horst Seehofer. Die Nominierung der ostdeutschen Jungpolitikerin Katherina Reiche, einer unverheirateten Mutter, zust�ndig f�r die Familien-politik, stie� auf deutliche Kritik der katholischen Kirche. - Auf ihren Wahlparteitagen (CDU 17./18.6. in Frankfurt am Main und CSU 29.6. in F�rth) verabschiedeten CDU und CSU erstmals ein gemeinsames Wahlprogramm unter dem Titel �Leistung und Sicherheit - Zeit f�r Taten�. Zu den Kernpunkten z�hlen die Senkung der Staatsquote, der Sozialversicherungsbeitr�ge und des Spitzensteuersatzes jeweils unter 40% (Formel �3 x 40�), die Aussetzung der f�r 2003 geplanten f�nften Stufe der �kosteuer, die Schaffung eines Niedriglohnsektors sowie die steuerliche Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten. Allerdings stellte Stoiber einen Teil der Gro�projekte unter Finanzierungsvorbehalt. Ende August reichten CDU und CSU ein 10-Mrd.-Euro schweres Sofortprogramm nach, das in den ersten 100 Tagen nach der Regierungs�bernahme umgesetzt werden sollte, um die Konjunktur anzukurbeln; unter dem Eindruck der Flutkatastrophe widmete es sich auch der bei der Bestellung des Kompetenz-teams vernachl�ssigten Umweltpolitik. Im Vertrauen auf die Abnutzungserscheinun-gen und den Popularit�tsschwund der Regierungskoalition vermied Stoiber eine scharfe, emotional mobilisierende Polarisierung und bot dadurch selbst nur wenige Angriffsfl�chen. Entgegen urspr�nglichen Erwartungen thematisierte die Union die Ausl�nderproblematik nur am Rande. Mit dieser Strategie geriet der Kanzlerkandidat in den letzten Wochen vor der Wahl in Bedr�ngnis, als Schr�der w�hrend der Flutkatstrophe und in der Irak-Frage medienwirksam seine Rolle als konsenstragender Handlungsf�hrer ausspielen konnte. Im Wert f�r die Kanzlerpr�ferenz fiel Stoiber auf 34% zur�ck. In der letzten Woche vor der Wahl versuchte der Kandidat mit einem R�ckgriff auf die Zuwanderungsproblematik die politische Stimmung noch zu beeinflussen.

SPD
Der Start der SPD ins Wahljahr 2002 litt unter Misserfolgen der Regierung auf dem Gebiet der Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik, f�r die sie die weltwirtschaftli-che Entwicklung verantwortlich machte. Hinzu kamen Hiobsbotschaften wie die PI-SA-Studie �ber Defizite in der Bildungspolitik (Dezember 2001) und die Aufdeckung mehrerer Aff�ren, in die SPD-Politiker durch Fehlverhalten, Vorteilsnahme oder politische Korruption verwickelt waren, darunter als wichtigste der �ber die Region K�ln ausufernde Parteispendenskandal im M�rz/April 2002. Nach der f�r die SPD desastr�sen Landtagswahl in Sachsen-Anhalt am 21.4. (--> Sp. 230) markierten die Ergebnisse der Sonntagsumfrage im Mai mit einer Zustimmungsquote von nur 33% f�r die SPD (CDU 41%) den Tiefpunkt des Negativtrends. Die von Bundesgesch�ftsf�hrer Matthias Machnig gef�hrte Wahlkampfzentrale stand vor dem zentralen Prob-lem, die hohe Popularit�t des Bundeskanzlers (Mai: Schr�der 51%, Stoiber 39%) auf die Partei zu �bertragen.
Die Ereignisse und politischen Entwicklungen nach dem Wahlparteitag am 2.6. in Berlin, der das Wahlprogramm �Erneuerung und Zusammenhalt� beschloss, gaben Schr�der Gelegenheit, sich innen- und au�enpolitisch als krisenfester und entscheidungssicherer Staatsmann zu pr�sentieren. Die Vorschl�ge der Hartz-Kommission zur Arbeitsmarktreform, am 16.8. f�rmlich vorgestellt mit der Erwartung des Kommissionsvorsitzenden, die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von zwei Jahren halbieren zu k�nnen, machte sich Schr�der als Teil seines k�nftigen Re-gierungsprogramms voll zu Eigen. Im Zuge der Flutkatastrophe erreichte er durch sein Krisenmanagement (u.a. Bereitstellung der n�tigen Finanzmittel durch Verschie-bung der zweiten Stufe der Steuerreform) eine Wendung der politischen Stimmung in ganz Deutschland. Dem Kalk�l der Wahlkampfstrategie folgte auch die Inkaufnahme eines offenen politischen Konfliktes mit den USA �ber die Frage eines Krieges gegen den Irak. Nach dem zweiten TV-Duell, bei dem Schr�der (im Unterschied zum ersten) deutliche Vorteile verbuchte, eroberte die SPD in der W�hlergunst mit knappem Vorsprung den ersten Platz. Der angebliche Vergleich der Au�enpolitik von US-Pr�sident Bush mit der von Hitler durch Bundesjustizministerin Herta D�ubler-Gmelin wenige Tage vor der Wahl f�hrte innenpolitisch zu einem Eklat und im Verh�ltnis zu Washington zu einer weiteren Abk�hlung des Verh�ltnisses; am 23.9. erkl�rte die Politikerin ihren Verzicht auf das Ministeramt in der neuen Regierung.

B�ndnis 90/Die Gr�nen
Im Sog des Vertrauensverlustes f�r die Regierungskoalition rutschte der Juniorpartner der SPD im Februar 2002 bei der Sonntagsfrage im ZDF-Politbarometer in der W�hlergunst erstmals unter die F�nf-Prozent-Marke, unbeschadet davon blieb jedoch die Wertsch�tzung f�r Au�enminister Joschka Fischer als beliebtester Bundespolitiker. Mit seiner Nominierung zum �gr�nen Spitzenkandidaten� - flankiert von dem Spitzenteam mit den prominentesten Gr�nen-Politikern - folgte der Parteirat am 19.2. dem Trend zur Personalisierung des Wahlkampfs. In Berlin bekannte sich die Partei am 16./17.3. mit der Annahme eines neuen Grundsatzprogramms (�Gr�n 2020 - Wir denken bis �bermorgen�) zu ihrer Rolle als systemkonforme Koalitionskraft und verabschiedete sich auch programmatisch vom rigorosen Pazifismus. Zugleich sch�rfte sie mit der Propagierung von zw�lf sog. Schl�sselprojekten ihr umwelt- und sozialpolitisches Reformprofil. Der Wahlparteitag am 4./5.5. in Wiesbaden galt der Verabschiedung eines umfangreichen �Vierjahresprogramms� und der Pr�sentation von acht Kernforderungen zur �kologisch-sozialen Erneuerung in Deutschland, mit denen sich die Partei gegen die Union und die FDP abzugrenzen suchte (u.a. �kologische Steuerreform mit Abbau umweltsch�dlicher Subventionen und F�rderung umweltfreundlicher Projekte, verbesserter Verbraucherschutz und Umsetzung der agrarpolitischen Wende, Schaffung von Arbeitspl�tzen, vor allem im Umweltbereich, Initiativen zur Gleichberechtigung von Frauen und Integration von Zuwanderern).
Einen Imageschaden brachte die Verwicklung mehrerer prominenter Gr�nen-Politiker in die Bonusmeilenaff�re Ende Juli/Anfang August.
Die reibungslose au�enpolitische Zusammenarbeit zwischen Fischer und Schr�der, die ihre Ab-sicht zur Fortf�hrung der Koalition durch einen gemeinsamen Wahlkampfauftritt in Berlin am 15.9. unterstrichen, trug dazu bei, dass auch die Gr�nen von dem sich Ende August abzeichnenden Stimmungsumschwung in der W�hlerschaft profitierten und mit ihrem Hauptgegner im Wahlkampf, der FDP, fast gleichzogen.

FDP
Befl�gelt von Erfolgen bei mehreren Landtagswahlen 2001 best�tigte der Bundesparteitag am 10.-12.5. 2002 in Mannheim die ein Jahr zuvor vom nordrhein-westf�lischen Landesvorsitzenden J�rgen W. M�llemann durchgesetzte Zielvorgabe, die FDP als dritte Volkspartei mit einem Stimmenanteil von 18% zu etablieren - �Strategie 18� - und beschloss, mit dem Parteivorsitzenden Guido Westerwelle als �Kanzlerkandidat� in den Wahlkampf zu ziehen. Das als Wahlplattform verabschiedete �B�rgerprogramm 2002� stellte die Steuer- und Wirtschaftspolitik nach den ordnungspolitischen Grunds�tzen der liberalen Marktwirt-schaft in den Mittelpunkt und bezeichnete die schon 1998 vorgeschlagene radikale Steuersenkung (nach einem vereinfachten Steuersatz von 15, 25 und 35% bei einem Grundfreibetrag f�r jeden B�rger von 7500 Euro) als bestes Besch�ftigungsprogramm. Besonderes Gewicht legte die Partei auf die Reform des Bildungswesens (st�rkere Eigenverantwortung der Bildungseinrichtungen vom Kindergarten bis zur Hochschule, Einf�hrung von �Bildungsgutscheinen�, Durchsetzung des Leistungsprinzips bei Lernenden und Lehrenden). Der Versuch, in populistischer Manier auch das rechte W�hlerpotenzial f�r die FDP zu erschlie�en, f�hrte im Mai/Juni im Zuge der Karsli-Aff�re und des von M�llemann provozierten Konflikts mit dem Zentralrat der Juden in Deutschland zu einer schweren innerparteilichen Krise, in der sich Westerwelle nur m�hsam behaupten konnte. Diese Auseinandersetzungen wie auch aktuelle Themen (Flutkatastrophe, Irak-Frage) minderten Westerwelles Spielraum, sich auf gleicher Augenh�he mit den Kanzlerkandiaten der SPD und der Union zu pr�sentieren und zugleich den Wahlkampf als Polit-Entertainment zu gestalten. Nach zwischenzeitlichen Umfragewerten in der Sonntagsfrage bei knapp �ber 10% lag die FDP kurz vor dem Wahltermin im W�hlerzu-spruch wieder bei 8,5%, dem Anfangswert des Jahres. Obwohl die FDP ohne Koalitionsaussage in den Wahlkampf ging, sprach sie sich deutlich f�r ein Zusammengehen mit der CDU aus, solange diese sich in Meinungsumfragen als st�rkste Kraft zeigte. Als sich Anfang September ein Kopf-an-Kopf-Rennen abzeichnete, signalisierten f�hrende FDP-Politiker ihre Bereitschaft zu einer Koalition mit der SPD. Wenige Tage vor der Wahl f�hrte eine von M�llemann initiierte Postwurfsendung an Haushalte in Nordrhein-Westfalen zu einem Wiederaufleben des Antisemitismus-Streits und zur weitgehenden Isolierung des NRW-Landesvorsitzenden; am Tag nach der Wahl k�ndigte M�llemann seinen R�cktritt vom Amt des stellvertretenden Bundesparteivorsitzenden an.

PDS
Mit der Zuversicht, ihr bundespolitisches Gewicht st�rken zu k�nnen, verab-schiedete der Wahlparteitag am 16./17.3. 2002 in Rostock das Wahlprogramm mit den Schwerpunkten soziale Gerechtigkeit, globale Friedenspolitik ohne milit�risches Engagement und wirtschaftliche Entwicklung in den neuen Bundesl�ndern. In diesen z�hlte die PDS - mit Stimmenanteilen bei Landtagswahlen von jeweils �ber 20% - zu den f�hrenden politischen Kr�ften, w�hrend sie ihre Basis in den alten Bundesl�ndern bislang kaum hatte erweitern k�nnen. Der R�cktritt ihres Spitzenpolitikers Gregor Gysi von allen politischen �mtern am 31.7. im Zuge der Bonusmeilenaff�re bedeutete einen schweren R�ckschlag. Auch der Sympathiegewinn, den die SPD in den von der Flutkatastrophe betroffenen Gebieten aus der schnellen und umfangreichen Hilfe des Bundes ziehen konnte, schm�lerte die Resonanz der PDS als Kraft der �gesellschaftlichen Opposition�, sodass sie in Umfragen der Meinungsforschungsinstitute wenige Wochen vor der Wahl unter die F�nf-Prozent-H�rde rutschte. Der Wiederein-zug in den Bundestag �ber den Gewinn von mindestens drei Direktmandaten schien durch die Neuaufteilung der Wahlkreise ebenfalls erschwert. W�hrend die PDS eine Koalition mit den Sozialdemokraten von vornherein ausschloss, warb sie um die St�rkung ihrer m�glichen Rolle als Mehrheitsbeschafferin f�r Rot-Gr�n im Bundestag.
 
  Aktuelle Informationen zu diesem und allen übrigen Themen des ARCHIVS finden Sie im Fischer Weltalmanach 2003 und im Digitalen Fischer Weltalmanach 2003.  
   
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