FWA 2000, Sp. 54
Innenpolitische Ereignisse
Amtsenthebungsverfahren: Auf der Grundlage des 445 Seiten starken Untersuchungsberichts zur Lewinsky -Affäre, den Sonderermittler Kenneth Starr am 9.9. 1998 dem Kongreß übergibt und der am 11.9. zur vollständigen Veröffentlichung im Internet freigegeben wird, leitet das Repräsentantenhaus am 8.10. mit 258 gegen 176 Stimmen ein Amtsenthebungsverfahren (Impeachment) gegen Präsident Bill Clinton ein und nimmt am 19.12. zwei der vier von der Justizkommission vorgeschlagenen Anklagepunkte - Meineid und Behinderung der Justiz - mit 228 gegen 206 bzw. 221 gegen 212 Stimmen an. Unter Vorsitz des Obersten Bundesrichters, William Rehnquist, beginnt am 7.1. 1999 der Prozeß, bei dem die 100 Senatoren (55 Republikaner, 45 Demokraten) als Geschworene fungieren. Nach dem Demokraten Andrew Johnson, der 1868 das Verfahren ohne Verlust seines Amtes überstand, ist Clinton der zweite Präsident, der einem Impeachment unterzogen wird. Der Republikaner Richard Nixon trat nach Einleitung eines Impeachments 1974 zurück. Umfragen zufolge tadelt die Mehrheit der US-Bürger Clinton für die ihm angelasteten Verfehlungen im Zusammenhang mit der Lewinsky -Affäre, beurteilt seine Amtsführung jedoch positiv und lehnt seine Entlassung ab. Bei der Schlußabstimmung im Senat am 12.2. scheitert der Antrag auf Amtsenthebung des Präsidenten, da die dafür erforderliche Zwei-Drittel-Mehrheit nicht zustandekommt: Der Vorwurf des Meineids wird mit 45 gegen 55 Stimmen zurückgewiesen, der der Justizbehinderung mit 50 gegen 50.
Als Folge der in der Öffentlichkeit stark umstrittenen Aktivitäten des Sonderermittlers Starr in der Clinton-Lewinsky-Affäre verzichtet der Kongreß auf eine Erneuerung des umstrittenen Gesetzes über diese unabhängige, mit umfangreichen Vollmachten ausgestatteten Untersuchungsbehörde, die 1978 eingerichtet wurde. Ermittlungen gegen den Präsidenten fallen ab 1.7. wieder in die Kompetenz des Justizministeriums.
Wahlen
Aus den Kongreß- und Gouverneurswahlen am 3.11. 1998 gehen die Demokraten entgegen den Erwartungen gestärkt hervor, die oppositionellen Republikaner behalten jedoch in beiden Häusern des Kongresses die Mehrheit. Im Repräsentantenhaus, für das alle 435 Abgeordneten neu gewählt werden, fallen die Republikaner auf 223 Sitze (-5) zurück, die Demokraten erringen 211 (+5); ein unabhängiger Kandidat gewinnt einen Sitz. Die Teilerneuerungswahl für den Senat (34 von 100 Sitzen) ergibt keine Verschiebung des Kräfteverhältnisses zwischen Republikanern (55) und Demokraten (45). Bei den Gouverneurswahlen in 36 der 50 Bundesstaaten siegen die Republikaner in 23 und verlieren damit einen Gouverneursposten; die Demokraten behaupten ihre Vormacht in elf Staaten. In zwei Staaten setzen sich unabhängige Bewerber durch. Die Wahlergebnisse werden als Vertrauensvotum für Präsident Clinton angesichts des bevorstehenden Amtsenthebungsverfahrens gewertet. Als Konsequenz aus dem schwachen Abschneiden seiner Partei verzichtet der republikanische Speaker des Repräsentantenhauses und politische Gegenspieler des Präsidenten, Newt Gingrich, treibende Kraft hinter dem Impeachment, auf seine Wiederwahl; sein designierter Nachfolger, der Vorsitzende des Bewilligungsausschusses, Robert Livingston, zieht nach Bekanntwerden einer außerehelichen Beziehung seine Kandidatur zurück, worauf die republikanische Mehrheit im Repräsentantenhaus am 6.1. 1999 den Republianer Dennis Hastert zum Präsidenten wählt.
Waffenmißbrauch
Mehrere Amokläufe und Massaker im Berichtszeitraum und die zunehmende Gewaltbereitschaft von Jugendlichen richten erneut die öffentliche Aufmerksamkeit auf die Folgen des freizügigen Verkaufs und Gebrauchs von Schußwaffen sowie der Verherrlichung von Gewalt in der amerikanischen Gesellschaft. Zwei Schüler im Alter von 17 und 18 Jahren töten am 20.4. 1999 in einer Schule in Littleton bei Denver (Colorado) 13 Menschen; anschließend begehen sie Selbstmord. Seit Oktober 1997 kamen damit mindesttens 20 Menschen durch Gewalttaten von Schülern ums Leben. Am 30.7. erschießt ein Börsenmakler in Atlanta (Georgia) 15 Menschen und nimmt sich auf der Flucht das Leben.
Ein Gericht in New York erklärt am 12.2. 1999 erstmals in drei Fällen 15 Waffenproduzenten für mitschuldig am Tod bzw. der schweren Verletzung von Menschen bei Schießereien mit illegal erworbenen Schußwaffen.
Ein von der Clinton-Administration eingebrachtes Gesetzespaket zur Verschärfung der Waffenkontrolle scheitert am 18.6. im Repräsentantenhaus am Widerstand einer Mehrheit von republikanischen Abgeordneten, denen die Vorlage zu weit geht, und demokratischen Parlamentariern, denen die als Zugeständnis an die Opposition entschärfte Fassung zu verwässert erscheint.
Menschenrechte
Zum Auftakt einer Kampagne zur Menschenrechtslage in den USA kritisiert amnesty international am 6.10. 1998 Menschenrechtsverletzungen bei der Strafverfolgung und beim Strafvollzug, insbesondere neben Mißhandlungen von Inhaftierten und Asylbewerbern auch die häufige Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe (bis Ende 1998 500 seit Wiedereinführung der Todesstrafe 1977). Die Hinrichtung von zwei deutschen zum Tode verurteilten Staatsbürgern, der Brüder Karl LaGrand und Walter LaGrand, am 24.2. bzw. 3.3. 1999 in Florence (US-Bundesstaat Arizona) wird von deutschen Politikern, u.a. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin, scharf kritisiert und als Bruch des Völkerrechts bezeichnet. Den beiden Delinquenten war nach ihrer Verhaftung 1982 keine Gelegenheit gegeben worden, entsprechend des Wiener Konsularabkommens juristischen Beistand durch das deutsche Generalkonsulat in Anspruch zu nehmen.
Anläßlich des USA-Besuches von Papst Johannes Paul II. am 26.1. / 27.1. 1999 wird ein verurteilter Mörder und Todeskandidat am 28.1. 1999 durch den Gouverneur von Missouri zu lebenslanger Haft begnadigt.
Wirtschaftliche Entwicklung
Trotz der wirtschaftlichen Turbulenzen in Ostasien und Lateinamerika steigt das Bruttoinlandsprodukt (BIP) 1998 um 3,8% (1997: 3,9%). Haupttriebfeder der seit acht Jahren anhaltenden wirtschaftlichen Expansion - der zweitlängsten Prosperitätsphase in der amerikanischen Geschichte (nach 1961-69) - ist neben den Investitionen der Unternehmen der private Konsum, der rd. zwei Drittel des BIP ausmacht und 1998 erneut um 5% zunimmt.
Tabakbranche
Im teuersten Vergleich der Wirtschaftsgeschichte erklärt sich die US-amerikanische Tabakindustrie am 22.11. 1998 gegenüber 46 der 50 Bundesstaaten zur Zahlung von 206 Mrd. US- $, verteilt über 25 Jahre, bereit. Damit entgeht sie den Klagen auf Ersatz für die öffentlichen Gesundheitsleistungen zur Behandlung von Raucherkrankheiten. Die vier übrigen Staaten schlossen zuvor ähnliche Vereinbarungen ab.
Am 8.7. 1999 gibt ein Gericht in Miami einer 1994 eingereichten Sammelklage gegen die Tabakindustrie auf Schadensersatz für durch Nikotingenuß verursachte Krankheiten statt. Über die Schadenshöhe, die von den Klägern in Florida auf 200 bis 500 Mrd. US- $ geschätzt wird, wird später entschieden.
Unternehmenszusammenschlüsse
Der Internet-Provider America Online (AOL) etabliert sich am 24.11. 1998 mit der Übernahme des Software-Unternehmens Netscape für 4,2 Mrd. US- $ als das bislang umsatzstärkste Internetunternehmen.
Am 30.11. wird die Übernahme der US-Investmentbank Bankers Trust durch die Deutsche Bank von den Aufsichtsräten der beiden Konzerne gebilligt.
Der zweitgrößte Autoproduzent der Welt Ford erhält am 28.1. 1999 den Zuschlag für den Kauf der Pkw-Sparte des schwedischen Volvo -Konzerns zum Preis von 6,5 Mrd. US- $ .
Außenpolitik
Rußland: Bei seinem Besuch in Moskau am 1. / 2.9. 1998 sichert Präsident Clinton seinem Amtskollegen Boris Jelzin und der geschäftsführenden Regierung unter Viktor Tschernomyrdin weitere Hilfe bei der Bewältigung der Finanz- und Wirtschaftskrise zu, knüpft diese jedoch an die Bedingung, daß Rußland auf dem Weg demokratischer Reformen fortschreite und das marktwirtschaftliche System weiter ausbaue. Clinton und Jelzin unterzeichnen zwei Vereinbarungen zur Abrüstung, eine betreffend den Austausch von Frühwarnungen bei Raketenstarts; die andere betrifft die Verringerung der jeweiligen Atomwaffenprogramme um je 50 t Plutonium.
Nachdem im Zuge des Kosovo-Konflikts, v.a. nach Beginn der NATO-Luftoffensive gegen die Bundesrepublik Jugoslawien, die Beziehungen zwischen beiden Staaten in eine tiefe Krise geraten, kommt es mit dem Besuch von Ministerpräsident Sergej Stepaschin in Washington vom 27. bis 29.7. 1999 wieder zu einer Verbesserung der bilateralen Beziehungen. US-Vizepräsident Al Gore und Stepaschin verständigen sich auf den baldigen Beginn von Gesprächen über weitere atomare Rüstungsbeschränkungen mit dem Ziel eines START III-Abkommens (Strategic Arms Reduction Talks), obwohl START II von der russischen Duma noch nicht ratifiziert wurde (vom US-Senat 1996); die USA drängen auf eine Revision des russisch-amerikanischen ABM-Vertrags (Anti Ballistic Missiles) von 1972 über das Verbot der Entwicklung von Antiraketenwaffen, um der erwarteten wachsenden Bedrohung durch potentielle »Terroristenstaaten« wie Nordkorea, Iran, Irak und Libyen Rechnung zu tragen. Der US-Kongreß billigte am 18.3. 1999 ein entsprechendes Rüstungsprogramm im Umfang von rd. 10 Mrd. US- $ innerhalb der nächsten sechs Jahre.
Kosovo-Konflikt
Für seine Absicht, die NATO gegebenenfalls auch ohne Mandat des UN-Sicherheitsrats zu Luftschlägen gegen die BR Jugoslawien (BRJ) zu veranlassen, um die Situation im Kosovo nachhaltig zu befrieden, versichert sich Präsident Clinton im September 1998 des Rückhalts führender Politiker beider Parteien im Kongreß. In der Luftoffensive gegen die BRJ setzen die USA, unter allen NATO-Partnern am stärksten engagiert, bis Ende Mai 1999 insgesamt 769 Flugzeuge ein.
Bei der Besetzung des Kosovo durch die UN-mandatierten KFOR-Truppen ab 11.6. übernehmen US-Streitkräfte mit bis zu 7000 Soldaten die militärische Sicherung und Übergangsverwaltung des südöstlichen Sektors mit Gnjilane als Zentrum. Präsident Clinton ruft noch am 11.6. die serbische Bevölkerung auf, Präsident Slobodan Milosevic zu stürzen, und stellt klar, daß die USA Wiederaufbauhilfen für Jugoslawien ohne Einzug demokratischer Verhältnisse ablehnen.
Israel / Palästina
Nach neuntägigen Verhandlungen in Wye Plantation (Maryland) bewegt Präsident Clinton am 23.10. 1998 den israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Palästinenser-Präsident Jassir Arafat zu einer Vereinbarung über einen Neubeginn des Friedensprozesses und Einzelheiten des israelischen Truppenabzugs. Die Beziehungen zu Israel verschlechtern sich deutlich, als sich zeigt, daß Netanjahu das Abkommen nicht erfüllt. Nach Wiederbelebung des Friedensprozesses durch seinen Nachfolger Ehud Barak stellt Clinton am 18.7. 1999 die Freigabe bisher zurückgehaltener Finanzhilfen in Höhe von 1,2 Mrd. US- $ für den Truppenabzug aus dem besetzten Westjordanland in Aussicht.
Irak
Im Konflikt über den Umfang der dem Irak auferlegten Rüstungskontrolle durch die UN-Sonderkommission UNSCOM unter ihrem Chefinspektor Richard Butler ordnet Präsident Clinton in Abstimmung mit dem britischen Premier Tony Blair am 16.12. 1998 die Bombardierung militärischer Ziele im Irak an. Die Operation »Desert Fox« endet am 20.12., Angriffe auf irakische Flugabwehrstellungen werden jedoch Ende Dezember wieder aufgenommen und in den folgenden Monaten sporadisch fortgesetzt.
Anfang März 1999 bestätigen sich nach Informationen der Washington Post bis dahin dementierte Spionagevorwürfe des Irak gegen die USA; danach haben US-Geheimdienste über mehrere Jahre Agenten, getarnt als technische Spezialisten, mittels UNSCOM Abhöroperationen durchführen lassen.
Vereinte Nationen (UN)
Als Folge des politischen Patts zwischen Regierung und Opposition kommt es auch im Berichtszeitraum zu keiner abschließenden Verständigung über die Begleichung der Schulden der USA bei den UN, die von der Weltorganisition mit 1,6 Mrd. US- $ beziffert werden. Am 23.6. 1999 billigt der Senat die Zahlung von 926 Mio. US- $ in Raten und unter der Bedingung, daß die UN eine umfassende Finanzreform in Angriff nehmen und der US-Beitrag von 25 % auf 20 % reduziert wird. Am 4.8. bestätigt der Senat den von Clinton schon im Juni 1998 nominierten Richard Holbrooke als UN-Botschafter. Holbrooke nahm zahlreiche außenpolitische Sondermissionen, u.a. im Kosovo-Konflikt, wahr und gilt als Architekt des Friedensabkommens von Dayton für Bosnien-Herzegowina.
VR China
Mit der Verschärfung des Kosovo-Konflikts verschlechtern sich die Beziehungen zur VR China, die gemeinsam mit Rußland als Vetomacht im UN-Sicherheitsrat eine von den UN getragene militärische Intervention in der Bundesrepublik Jugoslawien verhindert. Im Schatten der NATO-Luftoffensive und der Kritik in den USA an der Menschenrechtslage in China steht auch der Besuch des chinesischen Ministerpräsidenten Zhu Rongji in den USA vom 6. bis 15.4. 1999.
Trotz der Entschuldigung Präsident Clintons für die nach seiner Auskunft versehentliche Zerstörung der chinesischen Botschaft in Belgrad durch drei von US-Kampflugzeugen abgeschossene Raketen am 7.5. / 8.5. steigern sich zunächst die Spannungen zwischen beiden Ländern. Am 30.7. erzielen Unterhändler beider Seiten in Beijing eine Einigung über amerikanische Entschädigungszahlungen in Höhe von 4,5 Mio. US- $ an die Opfer des Angriffs auf die Botschaft in Belgrad.
Die Veröffentlichung des Reports einer Kongresskommission am 25.5., demzufolge sich China durch Spionage in US-Atomwaffenlabors in die Lage versetzt habe, rüstungstechnisch in den nächsten Jahren gleichzuziehen, führt neben Vorwürfen der Republikaner gegen die Administration Clinton zu Forderungen nach Strafmaßnahmen gegen die Volksrepublik.
In dem Streit zwischen der VR China und der Republik China (Taiwan) über den Status der Inselrepublik, der durch Äußerungen des Präsidenten der Republik China, Lee Teng-hui, am 12.7. neu entfacht wurde, ergreift Präsident Clinton Partei für die von der VR China vertretene »Ein-China-These«, warnt Beijing jedoch vor dem Versuch einer gewaltsamen Wiedereingliederung der »abtrünnigen« Inselrepublik.
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