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Chronik: Ukraine

FWA 2000, Sp. 54

KKW Tschernobyl

Der Reaktorblock 3 des Kernkraftwerks Tschernobyl (Chornobyl), der letzte noch betriebsfähige Block (von ursprünglich vier) des Unglücksreaktors wird am 16.12. 1998 zu notwendigen, zur Vermeidung eines landesweiten Zusammenbruchs der Energieversorgung jedoch mehrfach verschobenen Reparaturarbeiten abgeschaltet und am 7.3. 1999 wieder in Betrieb genommen. Der den Unglücksreaktor umgebende Beton- und Stahlmantel ist brüchig und muß dringend saniert werden. Am 6.3. demonstrieren mind. 12000 Arbeiter aller Kernkraftwerke für die Auszahlung ihrer seit Monaten ausstehenden Löhne. Nach Angaben der Behörden von Ende März hat die Zahl der Störfälle in den ukrainischen Atomkraftwerken zugenommen; auch der Kernbrennstoff geht zur Neige. Die 14 Reaktoren an fünf Standorten decken etwa 40 % des Energiebedarfs. Wegen des v.a. auf die schlechte Zahlungsmoral der Stromabnehmer zurückzuführenden Geldmangels werden die Kernkraftwerke nur notdürftig instand gehalten. Weniger als 10 % der Stromlieferungen werden bar bezahlt, der Rest in Naturalien oder gar nicht. Trotz Energiekrise ist die Energieverschwendung hoch.

Am 7.7. unterzeichnen in Kiew drei französische Atom-Unternehmen und die staatliche ukrainische Atomgesellschaft Energoatom einen Vertrag, der die Errichtung eines Zwischenlagers für Kernbrennstoffe in Tschernobyl bis 2003 vorsieht; das Lager soll eine Kapazität von rund 3000 t haben und nur den Atommüll der Reaktorblöcke in Tschernobyl aufnehmen.

Bei seinem Besuch am 8. / 9.7. 1999 in Kiew gelingt es dem deutschen Bundeskanzler Gerhard Schröder nicht, die Ukraine zu überzeugen, die Stromerzeugung des KKW Tschernobyl durch den Bau konventioneller Gas- und Kohlekraftwerke zu ersetzen. Die Ukraine besteht auf der Fertigstellung der beiden Reaktoren in Rivne und Chmelnizki in der Westukraine. Hintergrund ist die Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Außerdem verfügt die Ukraine zwar über Kohle, es fehlen jedoch für die notwendige Modernisierung und Umstrukturierung des Bergbaus, darunter die Schließung zahlreicher unrentabler Zechen, sowohl die finanziellen Mittel als auch der politische Rückhalt. Die G 7-Staaten und die EU hatten der Ukraine 1995 für die endgültige Stillegung von Tschernobyl bis spätestens zum Jahr 2000 u.a. Finanzhilfen für die Fertigstellung von zwei Kernkraftwerken sowjetischen Typs zugesagt (Kosten 1,7 Mrd. US- $).

Europarat

Die Parlamentarische Versammlung des Europarats beschließt am 28.1. 1999, die ukrainische Delegation auszuschließen, falls nicht binnen fünf Monaten substantielle Fortschritte bei der Erfüllung der mit der Aufnahme in den Europarat am 9.11. 1995 eingegangenen Verpflichtungen erzielt würden; am 21.5. 1999 spricht sich auch der Kontrollausschuß des Gremiums für einen Ausschluß aus, da trotz wiederholter Aufforderungen wesentliche Fortschritte noch immer nicht erkennbar seien. Trotzdem gewährt die Parlamentarische Versammlung des Europarats am 24.6. der Ukraine eine weitere Frist. Gefordert werden u.a.: Abschaffung der Todesstrafe, Gesetzgebung zum Schutz der Menschenrechte, Rechtsreform, eindeutige Gewaltenteilung, Reform des Straf- und Zivilrechts sowie ein neues Parteien- und Wahlgesetz. Der Übergang zu einem demokratischen Rechtsstaat verläuft äußerst schleppend.

Wirtschaft, Währungs, Soziales

Die Ukraine, die im Transformationsprozeß weit hinter anderen ostmitteleuropäischen Staaten zurückliegt, steht weiterhin am Rande der Zahlungsunfähigkeit und ist angesichts akuter Liquiditätsprobleme auf internationale Finanzhilfen angewiesen. Marktwirtschaftliche Reformen einschl. Privatisierung begannen im wesentlichen erst Ende 1994 und werden nur sehr zögerlich umgesetzt. Der seit 1990 andauernde Rückgang des realen BIP, das 1998 nur noch 40 % des Niveaus von 1989 erreicht, verlangsamt sich 1998 auf -1,7 % (1997: -3,2). Über die Hälfte aller wirtschaftlichen Aktivitäten finden in der Schattenwirtschaft statt; Tauschhandel ist weit verbreitet. Binnen- und außenwirtschaftliche Lage haben sich seit Ausbruch der Wirtschafts- und Finanzkrise in Rußland (17.8. 1998), dem wichtigsten Handelspartner, deutlich verschlechtert. Die Verluste im Außenhandel infolge der Einstellung der Schiffahrt auf der Donau wegen des Kosovo-Konflikts schätzt die Regierung Mitte Mai 1999 auf 220 Mio. US- $ . Bei anhaltendem Abwertungsdruck verliert die Landeswährung Griwna (UAH) im Berichtszeitraum 1998 / 99 gegenüber dem US- $ über 50 % ihres Werts.

Die Zahlungsrückstände bei Löhnen, Renten und anderen Sozialleistungen sowie Steuerschulden und Binnenverschuldung des Unternehmenssektors nehmen weiter zu. Bis 1.7. 1999 steigen die Rückstände bei den zum Teil seit Monaten ausstehenden Löhnen auf 7 Mrd. UAH (rund 1,8 Mrd. US- $), davon entfallen 12 % auf Angestellte des Öffentlichen Diensts und 88 % auf staatliche sowie private Unternehmen, und die Zahlungsrückstände bei den Renten auf 2 Mrd. UAH.

Der Internationale Währungsfonds (IWF) beschließt am 26.3. 1999, die im November 1998 wegen Nichterfüllung von Auflagen suspendierte Auszahlung von Kredittranchen wieder aufzunehmen. Angesichts der äußerst angespannten Fremdwährungsliquiditätslage und gewisser Fortschritte bei den Strukturreformen erhöht der IWF auf Bitten der Regierung in Kiew Ende Mai 1999 den am 4.9. 1998 zur Unterstützung des Stabilisierungs- und Strukturreformprogramms im Rahmen einer dreijährigen Erweiterten Fondsfazilität bewilligten Kredit um 274 Mio. SZR auf 1,9 Mrd. SZR (rund 2,6 Mrd. US- $). Zugleich fordert der IWF eine Einbindung der privaten Gläubiger bei der Lösung der Finanzprobleme. Die Weltbank, die am 15.9. 1998 Kredite von rund 900 Mio. US- $ für die Umstrukturierung von Landwirtschaft, Kohlebergbau, Finanzsektor und Unternehmenssektor bewilligt hatte, setzt Anfang April 1999 die ebenfalls im November 1998 suspendierte Auszahlung von Kredittranchen fort.

Kritik am Regierungskurs

Unter der anhaltenden Wirtschaftskrise wächst der Druck auf die Regierung von Ministerpräsident Pustowoitenko. Am 13.10. 1998 übersteht sein Kabinett eine Mißtrauensabstimmung im Parlament. Daraufhin bietet Pustowoitenko, der nach wie vor keine stabile Mehrheit in der Werchowna Rada besitzt, jenen Fraktionen, die ihn unterstützt hatten, eine Mitarbeit im Kabinett an. Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Situation zögern jedoch mehrere gemäßigte Parteien, Regierungsverantwortung zu übernehmen.

Parteienspaltung

Der langjährige Parteivorsitzende der gemäßigt nationalistischen Partei Ruch, Wjatscheslaw Tschornowil, der wegen seines undemokratischen Führungsstils und seiner Nähe zu Präsident Leonid Kutschma sowie der Regierung in der Kritik stand, wird nach einem Mißtrauensvotum Mitte Februar 1999 als Fraktionsvorsitzender und auf einem Parteitag am 28.2. als Parteivorsitzender von Jurij Kostenko abgelöst; daraufhin kommt es zur Spaltung der Parlamentsfraktion. Von den 48 Ruch-Abgeordneten schließen sich am 2.3. 18 Parlamentatier Tschornowil an; die anderen 30 Abgeordnete lassen sich als eigene Fraktion registrieren. Am 25.3. kommt der ehemalige Regimekritiker Tschornowil bei einem Verkehrsunfall in Kiew ums Leben.

Affäre um ehemaligen Premier

Auf Antrag von Generalstaatsanwalt Michailo Potebenko hebt die Werchowna Rada am 17.2. 1999 mit 310 gegen 39 Stimmen die Immunität von Pavlo Lasarenko, Abgeordneter und Vorsitzender der Oppositionspartei Hromada, auf; dem umstrittenen ehemaligen Ministerpräsidenten (von Mai 1996 bis Juli 1997) wird u.a. vorgeworfen, während seiner Amtszeit öffentliche Gelder veruntreut und ins Ausland transferiert zu haben. Lasarenko, der sich am 14.2. nach Griechenland abgesetzt hatte, wird am 19.2. in New York bei dem Versuch, ohne gültige Einreisepapiere in die USA einzureisen, von den Einwanderungsbehörden festgenommen. Er beantragt unter Berufung auf die UN-Konvention gegen Folter politisches Asyl. In der Ukraine und in der Schweiz ergingen am 19.2. bzw. 4.12. 1998 Haftbefehle gegen Lasarenko; beide Staaten haben seine Auslieferung beantragt. Am 1.12. war Lasarenko bei der Einreise in die Schweiz mit einem panamaischen Paß wegen Verdachts auf Geldwäsche festgenommen und am 17.12. gegen Kaution aus der Untersuchungshaft entlassen worden.

Schwarzmeerflotte

Die Werchowna Rada ratifiziert am 24.3. 1999 mit 250 gegen 63 Stimmen die drei am 28.5. 1997 unterzeichneten russisch-ukrainischen Abkommen über die Aufteilung der ehemals sowjetischen Schwarzmeerflotte und der mit ihr verbundenen militärischen Infrastruktureinrichtungen. Rußland kann Hafeneinrichtungen auf der Krim für zunächst 20 Jahre pachten. Die jährlichen Pachtgebühren von 100 Mio. US- $ werden mit ukrainischen Schulden für russische Erdgaslieferungen verrechnet.

Außenpolitik

Während des Aufenthalts von Präsident Jacques Chirac, der vom 2.9 bis 4.9. 1998 als erstes Staatsoberhaupt Frankreichs seit der ukrainischen Unabhängigkeit 1991 das Land besucht, werden mehrere Abkommen zur Zusammenarbeit unterzeichnet, u.a. bei der friedlichen Nutzung der Atomenergie.

Präsident Kutschma und US-Verteidigungsminister William Cohen vereinbaren am 31.7. 1999 auf der Krim, das Abkommen von 1994 über die Vernichtung aller auf ukrainischem Territorium stationierten ehemaligen sowjetischen Atomwaffen um weitere sechs Jahre zu verlängern; der Vertrag, der im Jahr 2000 ausgelaufen wäre, sieht u.a. US-Finanzhilfen bei der Verschrottung der verbliebenen Interkontinentalraketen und der Atomwaffeninfrastruktur vor. Darüber hinaus sagt Cohen zu, die NATO werde die Kosten für Transport und Unterbringung der 800 ukrainischen Soldaten übernehmen, die zur Verstärkung der internationalen Friedenstruppe KFOR in den Kosovo entsandt werden sollen. Präsident Kutschma und die überwiegende Mehrheit der Ukrainer hatten die NATO-Luftangriffe auf Serbien verurteilt und waren für eine Lösung des Kosovo-Konflikts mit nichtmilitärischen Mitteln eingetreten.

Autonome Republik Krim

Die vom Parlament der überwiegend von Russen bewohnten Halbinsel Krim am 21.10. 1998 mit 82 gegen zwei Stimmen bei einer Enthaltung verabschiedete und vom ukrainischen Parlament am 23.12. mit 230 gegen 67 Stimmen gebilligte neue Verfassung für die Krim tritt am 12.1. 1999 in Kraft. Danach ist die Halbinsel eine »Autonome Republik und integraler Bestandteil der Ukraine« mit Hoheit in den Bereichen Recht, Verwaltung, Finanzen, Eigentum und Bodenschätze. Sie erhält die Steuern und Abgaben in voller Höhe und hat eigene Symbole (Wappen, Flagge und Hymne). Der Gebrauch von Russisch, Krimtatarisch oder der Sprache einer anderen Nationalität neben dem Ukrainischen werden garantiert. Gesetze der Krim, die nicht im Einklang mit dem ukrainischen Grundgesetz stehen, können nach Prüfung durch das ukrainische Verfassungsgericht aufgehoben werden. Begriffe wie Souveränität, Unabhängigkeit, Staatlichkeit oder Staatsangehörigkeit der Krim enthält die neue Verfassung nicht. Nach jahrelangen Spannungen hatte das ukrainische Parlament am 4.4. 1996 eine Verfassung für die Krim, die vierte Fassung seit 1992, verabschiedet, dem Parlament in Simferopol jedoch zugleich die Überarbeitung von 24 Artikeln empfohlen.

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Aktuelle Informationen zu diesem und allen übrigen Themen des ARCHIVS finden Sie im Fischer Weltalmanach 2001 und im Digitalen Fischer Weltalmanach 2001.