FWA 2000, Sp. 54
In dem noch immer von den Folgen der südostasiatischen Wirtschaftskrise gezeichneten Vielvölkerstaat gelingt es den nach Präsident Hadji Mohamed Suhartos Rücktritt an die Macht gelangten Vertretern des alten Regimes nicht, den zunehmenden sozialen Konflikten mit einem überzeugenden politischen und wirtschaftlichen Reformkonzept zu begegnen. Die Regierung von Bacharuddin Jusuf Habibie und die Militärführung sehen sich neben dem Problem der Verarmung großer Teile der Bevölkerung auch mit der Verschärfung ethnisch-religiöser Auseinandersetzungen und dem Aufleben von Unabhängigkeitsbestrebungen konfrontiert.
Die Ermittlungen gegen Suharto und Mitglieder seiner Familie wegen Unterschlagungen verlaufen schleppend. Vor der Untersuchungskommission unter Generalstaatsanwalt Ghalib macht Suharto Anfang Oktober und Ende Dezember 1998 erstmals Aussagen, die jedoch keine Hinweise auf den Verbleib des auf bis zu 40 Mrd. US- $ geschätzten Familienvermögens ergeben.
Am 9.11. 1998 tritt in Jakarta die Beratende Volksversammlung (MPR) zusammen, um über politische Reformen, vor allem ein neues, pluralistisches Wahlrecht, und die Festlegung der Termine für Parlaments- und Präsidentschaftswahlen zu beraten. Daß die überwiegend von Suharto ernannten Mitglieder dieses Senats, der auch den Präsidenten bestimmt, zu keinen wesentlichen Reformbeschlüssen kommen, löst heftige Proteste von Studenten und Opposition aus. Um einen Marsch der Regimegegner zum Parlamentsgebäude zu verhindern, werden 35000 Soldaten und über 100000 »Freiwillige« aufgeboten. Es kommt zu tagelangen Straßenschlachten, begleitet von Brandstiftungen und Plünderungen, bei denen 16 Menschen getötet und über 200 verletzt werden. Die Opposition wirft dem Militär vor, die Unruhen inszeniert zu haben, und fordert den Rücktritt von Präsident Habibie, während die Staatsführung von einem Umsturzversuch spricht und zahlreiche Oppositionelle verhaften läßt.
Parlamentswahlen
Am 3.12. 1998 legt die Regierung bei einem Treffen des Staatspräsidenten und des Kabinetts mit Vertretern des Parlaments den Termin für die Parlamentswahlen auf den 7.6. 1999 fest. Zugelassen werden nur Parteien, die in mindestens einem Drittel der 27 indonesischen Provinzen vertreten sind, nach dem Ende der Zulassungsfrist am 23.2. 1999 bleiben von 148 Bewerbern nur 48, die diese Bedingung erfüllen. Zum Wahlkampfbeginn am 18.5. stellt die Opposition ihr Wahlbündnis Vereinte Front vor, das aus drei Parteien besteht: Demokratische Partei des Kampfes (PDI-P), geführt von Megawati Sukarnoputri, der Tochter des Staatsgründers, die sich auf dem Kongreß der PDI im Oktober 1998 gegen den regierungsfreundlichen Flügel durchgesetzt hat; Nationale Mandatspartei (PAN), im August 1998 von dem früheren Führer der islamistischen Muhammadija-Bewegung Amien Rais gegründet; und Partei des Nationalen Erwachens (PKB) im Juli 1998 von Abdurrahman Wahid, dem langjährigen Führer der größten islamischen Bewegung Nahdlatul Ulema (NU) ins Leben gerufen. Die erste formell demokratische Wahl seit 44 Jahren verläuft ohne größere Zwischenfälle. Daß sich die Stimmenauszählung über mehrere Wochen hinzieht, nährt bei der Opposition und internationalen Wahlbeobachtern den Verdacht auf Manipulationen. Nach dem offiziellen Endergebnis, das erst am 3.8. 1999 bekanntgegeben wird, hat Megawati Sukarnoputris PDI-P die Wahlen mit 33,7 % der Stimmen deutlich gewonnen. Auf die Golkar-Partei (die bisher stets etwa 70% errang) entfallen 22,4 %, 12,6 % gewinnt die PKB, 10,7 % die regierungskonforme muslimische Vereinigte Entwicklungspartei (PPP) und 7,1% die PAN. Damit ist klar, daß Megawati Sukarnoputri bei der für November 1999 geplanten Wahl des Staatspräsidenten in der Beratenden Volksversammlung gegen Habibie antreten wird. Acht muslimische Parteien, so eine Meldung vom 5.7., wollen einen eigenen Kandidaten aufstellen.
Ethnisch-religiöse Auseinandersetzungen
Die unter Suharto im Namen der »Einheitsphilosophie« (Pancasila) durch die harte Hand des Militärs unterdrückten Konflikte zwischen ethnischen und religiösen Gruppen sind nach dem Niedergang des alten Regimes und unter den Bedingungen der Wirtschaftskrise um so heftiger aufgebrochen. Neben alten Feindschaften (etwa gegen die chinesische Minderheit) spielen dabei auch die Folgen der langjährigen staatlichen Umsiedlungspolitik eine Rolle. Dem Militär wird von Regimegegnern wiederholt vorgeworfen, die Auseinandersetzungen zu schüren, um die eigene Unentbehrlichkeit in der Übergangssituation zu bekräftigen. Spannungen gibt es u.a. zwischen muslimischen Einwanderern (von den übervölkerten Inseln Java und Sumatra zwangsumgesiedelt) und der alteingesessenen christlichen Bevölkerung auf den Molukken. Ähnliche Konflikte bestehen auf Borneo, in Ost-Timor und Sumatra. Nach vereinzelten Auseinandersetzungen im November 1998 (als etwa in Jakarta 16 Menschen bei Straßenschlachten zwischen christlichen und muslimischen Jugendbanden sterben) erfaßt Anfang Januar 1999 eine monatelang anhaltende Welle der Gewalt von bislang ungekanntem Ausmaß die indonesischen Provinzen. Auf verschiedenen Inseln der Molukken, vor allem auf Ambon, werden bei christlich-muslimischen Konflikten Kirchen und Moscheen niedergebrannt und Dörfer dem Erdboden gleichgemacht. Die Regierung entsendet über 3000 Soldaten in die Provinz. Anfang März ist die Hauptstadt Ambon weitgehend zerstört, Tausende fliehen in andere Inselprovinzen, die Zahl der Todesopfer bis Anfang April wird auf über 600 geschätzt. In der Provinz Westkalimantan auf Borneo erreichen die mit großer Grausamkeit geführten Kämpfe zwischen den ansässigen Ethnien und Zuwanderern von der javanischen Insel Madura im März 1999 einen vorläufigen Höhepunkt: Mehr als 20000 Menschen sind auf der Flucht, bis Anfang April werden über 200 Menschen getötet. Zur Vertreibung der muslimischen Maduresen haben sich die christlich-animistischen Stämme der Ureinwohner (Dayak), muslimische Malaien und Chinesen zusammengeschlossen. In der Provinz Aceh auf Sumatra, wo die Sicherheitskräfte seit Jahren gegen die muslimische Separatistenbewegung Merdeka Aceh (Freies Aceh) vorgehen, kommt es ab Januar 1999 zu Demonstrationen und Unruhen, in deren Verlauf bis August über 300 Menschen den Tod finden.
Ost-Timor
Vermittelt durch die Vereinten Nationen (UN) führt die indonesische Regierung seit August 1998 in New York Verhandlungen mit der früheren Kolonialmacht Portugal über den zukünftigen Status Ost-Timors, versucht jedoch, die Entlassung der Provinz in die Unabhängigkeit auf verschiedenen Wegen zu hintertreiben. Seit Dezember 1998 werden die (etwa 4000 Mann starken) proindonesischen Milizen in Ost-Timor aufgerüstet und mit Unterstützung der Besatzungstruppen gegen die militärisch schwache Befreiungsbewegung FRETILIN eingesetzt. Ende Januar 1999 fliehen über 5000 katholische Timoresen vor dem Terror der Milizen aus ihren Dörfern. Zugleich deutet sich ein Kurswechsel an. Das Regime in Jakarta lehnt das von der FRETILIN geforderte Referendum über die Unabhängigkeit weiterhin ab, bietet jedoch Wahlen in der Provinz und ein Autonomiestatut an. Internationale Beobachter erkennen darin den Versuch, die Bevölkerung mit der Drohung fortgesetzten Bürgerkriegs zur Akzeptierung der Teilautonomie zu bringen. Am 10.2. 1999 wird der seit 1992 inhaftierte FRETILIN-Führer José Alexandre »Xanana« Gusmão aus dem Gefängnis in Hausarrest überstellt und als Verhandlungspartner akzeptiert. Am 11.3. kommt durch seine Vermittlung ein Waffenstillstand zwischen dem proindonesischen Milizenführer João da Silva Tavares und der FRETILIN zustande; die Milizen setzen ihre Aktivitäten jedoch fort. Am 7.4. fordert eine Kommandoaktion der Armee in einem Dorf nördlich der Hauptstadt Dili 40 Tote. Gusmão ruft daraufhin zur Wiederaufnahme des bewaffneten Widerstands auf; die Regierung droht ihm mit erneuter Inhaftierung. Am 20.4. vermittelt Gusmão abermals einen Waffenstillstand zwischen der Unabhängigkeitsbewegung und einer Milizgruppe unter Domingo Soares. Die Entwaffnung der Milizen ist jedoch nie Gegenstand der Verhandlungen, im Mai und Juni verschärfen sie ihre Angriffe. Am 5.5. unterzeichnen die Verhandlungsparteien in New York ein Abkommen, das für den 8.8. 1999 ein Referendum über das Autonomiestatut vorsieht; bei Ablehnung dieser Lösung soll Ost-Timor in die Unabhängigkeit entlassen werden. Mitte Juni beginnen die UN mit der Entsendung von Personal für die UN-Beobachtermission UNAMET zur Überwachung und Durchführung dieser Abstimmung. Da die Milizen ihre Angriffe fortsetzen (im Juli kommt es zu vier Überfällen auf UN-Mitarbeiter), wird das Referendum auf Betreiben der UN erst auf den 22.8., dann auf den 30.8. 1999 verschoben. Am 4.9. wird das Ergebnis der Volksabstimmung gleichzeitig von UN-Generalsekretär Annan in New York und vom UN-Delegierten für Ost-Timor, Ian Martin, in Dili bekanntgegeben: 78,5 % der 450000 Stimmberechtigten (Wahlbeteiligung 98,6 %) stimmten gegen das von Jakarta in Aussicht gestellte Autonomieangebot und damit für die Unabhängigkeit. Nach Bekanntwerden des Ergebnisses kommt es zu gewalttätigen Übergriffen proindonesischer Milizen, bei denen zahlreiche Menschen den Tod finden.
Wirtschaft
Die internationalen Geldgeber zeigen sich mit den Restrukturierungsmaßnahmen in Indonesien zufrieden, Ende September 1998 gewähren die 19 im Pariser Club zusammengeschlossenen Gläubigerstaaten dem Land einen Aufschub bei der Rückzahlung von Krediten in Höhe von 4,2 Mrd. US- $ , der Internationale Währungsfonds (IWF) beschließt am 25.3. 1999 die Aufstockung der Sofortkredite im Rahmen des Gesamtpaketes von 42,3 Mrd. um 1 Mrd. US- $ , auch die Asiatische Entwicklungsbank (AsDB) und die Weltbank sagen weitere Mittel zu. Am 14.3. hatte Indonesien eine wichtige Forderung der Geldgeber erfüllt: 38 Banken sind geschlossen worden, sieben wurden verstaatlicht, weitere neun erhalten staatliche Kapitalhilfe. Eine bereits zuvor erfolgte Änderung des Bankengesetzes erlaubt nun Ausländern, Mehrheitsbeteiligungen an indonesischen Banken zu erwerben.
Die Bevölkerung treffen die Auswirkungen der Krise unverändert hart. Um erneute Hungerunruhen zu vermeiden, genehmigt die Regierung (erstmals seit 30 Jahren) die private Einfuhr von Reis.
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